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Wir erleben gerade das Ende unserer gewohnten Sicherheit

„Diese Welt ist nicht durch uns selbst entstanden. Gott schuf sie, und sie war ursprünglich sehr gut.  Gottes Wille ist es, dass es seiner ganzen Schöpfung gut ergeht und Frieden untereinander herrscht. Doch er tut es nicht allein, sondern gibt uns die Freiheit, das Gute oder das Böse zu wählen und es zu tun oder nicht. Auch heute spricht Gott durch das Gesicht eines jeden anderen Menschen noch immer zu uns: "Töte den anderen nicht, füge dem anderen keinen Schaden zu.» Roman Solivy in einem Gespräch über die „Theologie des Anderen“

 

Das Bild vom Hausbau

„Jeder, der diese meine Worte hört und danach handelt, ist einem klugen Mann gleich, der sein Haus auf Fels gebaut hat. Da gingen Regengüsse nieder, Sturzbäche kamen, und Winde wehten und warfen sich gegen das Haus, und es stürzte nicht ein. Denn Fels war sein Fundament.

Und jeder, der diese meine Worte hört und nicht danach handelt, ist einem törichten Mann gleich, der sein Haus auf Sand gebaut hat. Da gingen Regengüsse nieder, Sturzbäche kamen, Winde wehten und schlugen gegen das Haus, und es stürzte ein, und sein Sturz war gewaltig.“ Matthäusevangelium 7,24-27

 

Unsere Angst

„In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Johnnesevangelium 16,33

 

Unsere Zuversicht

„Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen und werdet meine Zeugen sein.“ Apostelgeschichte 1,8

 

Kierkegaard

„Man kann das Leben nur rückwärts verstehen, leben muss man es aber vorwärts.“

 

In den Nachrichten habe ich gerade gehört, dass eine neue Studie zeigt, dass 71 % der Menschen in der Schweiz besorgt sind im Blick auf die Zukunft, und dies in allen Generationen. Es geht ihnen im Leben eigentlich gut, aber wird es für uns so bleiben?

 

Gegenwärtig mache auch mir grosse Sorgen über unsere Zukunft. Ich stimme Olaf Scholz zu, dass wir in einer Zeitenwende leben. Was dies alles bedeutet, sehen wir bereits, auch wenn wir erst erahnen können, was weiter auf uns zukommt. Viele wollen sich auch nicht näher damit verfassen, leben ihr eigenes, noch gutes Leben und sagen sich: Wer kommt, wie es kommt. Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot. Einige verdrängen einfach ihre Ängste und Fragen. Andere suchen Zuflucht in einfachen Erklärungen, flüchten in sektenähnliche Bewegungen.

 

Julian Chaplinsky sagte mir in einem Gespräch: „Wir erleben gerade die Auferstehung eines neuen Totalitarismus, der bald einmal in dieser Welt herrschen wird.“ Ich teilte damals seine Einschätzung und teile sie immer mehr. 

 

Konstruktion, Destruktion, Rekonstruktion

 

Was wir heute erleben, möchte ich mit den Begriffen „Konstruktion – Dekonstruktion – Rekonstruktion“ erklären. Ich befasste damit in einer Tagung mit dem evangelischen Theologen Thorsten Dietz. Es ging um die „postevangelikale Bewegung“ unter sehr vielen, vor allem jüngeren Christinnen und Christen. Er zeigte uns aber auch, dass dies alles nicht nur die Kirchen betrifft, sondern eigentlich ein Ausdruck der allgemeinen Entwicklung in dieser Welt.

 

Konstruktion einer neuen Weltordnung in den letzten Jahrzehnten

 

Nach den beiden Ersten Weltkriegen sagten alle: Nie wieder Krieg. Wir wollen den Frieden für die Zukunft sichern. Es wurde anschließend sehr vieles aufgebaut, nicht nur die verwüsteten Städte und Landschaften, es entstand in Westeuropa eine allgemein anerkannte neue Ordnung, die sich an den Werten der Aufklärung orientieren, deren Vordenker in der jüdisch-christlichen Tradition verwurzelt waren: Demokratie und Freiheit, Liberalismus und Menschenrechte. In deren Folgen trennten sich die europäischen Staaten von ihren Kolonien und neue Staaten entstanden. 

 

Es wurden internationale Organisation geschaffen: die UNO und in deren Folge der neue Staat Israel. Internationale Regeln für das Kriegsrecht entstanden, die NATO, die gemeinsame Sicherheit und gegenseitige Unterstützung bei der Verteidigung im Falle eines neuen Kriegs garantieren sollte, das Gericht für Menschenrechte, später die EWG, aus der schließlich die heutige EU wurde, Frankreich und Deutschland versöhnten sich, auch Deutschland und Polen, die USA, die sich am Sieg im Zweiten Weltkrieg beteiligte, wurde zur Schutzmacht im Westen. Europa und der gesamte Westen blühte auf.

 

Doch gleichzeitig teilte sich die Welt. Der andere Sieger, die Sowjetunion unter Stalin, breitete sich aus. In Osteuropa entstanden kommunistische Regime, die unter der Herrschaft Moskaus standen. Aufstände wurden unterdrückt, in Ungarn, der Tschechoslowakei oder Polen. Die Sowjetunion verbreitete ihre kommunistische Ideologie weltweit, infiltrierte und spionierte überall, wo sie nur konnte, andere Regierungen zu stürzen und den Kapitalismus zu überwinden. Sie glaubte sich überlegen, ideologisch, technisch und militärisch. 

 

Es entstand eine bipolare Weltordnung mit zwei Großmächten: die USA und die Sowjetunion. Und damit der „Kalte Krieg“, eine neue Gefährdung, gegenseitige Aufrüstung, Atombomben. Später die Friedensbewegung, Pazifismus, Versuche der Annäherung, Handelsverträge, die Helsinki-Verträge mit beidseitiger Anerkennung der Menschenrechte (die aber nur einseitig und auch nur teilweise eingehalten wurden).

 

1989 fiel schließlich die Mauer in Berlin, 1991 zerfiel die Sowjetunion, neue unabhängige Staaten entstanden. Die Grenzen der Staaten wurden international garantiert. Der Westen glaubte, dass endlich Frieden und gemeinsame Weiterentwicklung zum Wohle aller möglich wären. 

 

Im Rückblick erscheint uns heute das alles als zu optimistisch. In den Staaten der ehemaligen Sowjetunion folgte eine dunkle Phase, ein allgemeines Chaos, eine gewisse Freiheit und eine Oligarchie neureicher Leute, die alles an sich zogen, mit dem sich bereichern konnten. Demokratie zeigte sich aber nur anscheinend, ein neuer Präsident erschien, zuvor unbekannt. Russland erholte sich mit westlichem Investment. Doch kaum jemand bemerkte, wer Putin war und was er wollte. Es wurde deutlich, als er in München sagte, die größte globale Katastrophe des 20. Jahrhunderts wäre die Auflösung der Sowjetunion“. 

 

Es folgten Kriege: zuerst in Tschetschenien, dann in Georgien und in Moldawien. Separatistische, russlandfreundliche Gebiete entstanden. Der Westen zeigte sich hilflos, suchte Verhandlungen. In der Ukraine verbreitete sich Korruption, ihre Präsidenten kamen und gingen. Es gab Volksaufstände: zuerst für die Unabhängigkeit des Landes, dann die „Orangene Revolution“, nachdem ein neuer Präsident fast vergiftet worden war, schließlich die „Revolution der Würde“ auf dem Maidan, die zum Sturz des russlandfreundlichen Präsidenten führe. 

 

Während dieser Zeit feierte die Welt gerade die Olympiade in Sotschi, und Putin zeigte sein grosses Russland. Am Tag danach folgte aber der Schock: die Einnahme der Krim, die Gründung der beiden separatistischen Volksrepubliken Donezk und Luhansz. Die Ukraine war damals gerade in der Krise, kannte kaum eine Armee. Doch es gab Leute, die sich gegen den russischen Angriff wehrten, manche sehr nationalistische Männer, die später in die neue ukrainische Armee integriert wurden und sich von ihrem Extremismus trennen mussten. Die Wahlen zeigten, dass rechtsextreme Parteine aber keine Chancen hatten, weniger als 2 % der Ukrainer stimmten für sie. Es folgte der lange Krieg in der Ostukraine, der Abschuss eines Flugzeuges der Malaysia Air, der heute nachweislich auf das russische Militär geschah, die Überwachung der neuen Grenzen durch die OSZE, die Verträge von Minsk, die Russland als erstes verletzte, eine allmähliche Beruhigung der Situation.

 

Und schließlich dieser grosse Schock vom 24. Februar 2024.

 

Dekonstruktion der gegenwärtigen Weltordnung

 

Eigentlich wäre es längstens schon sichtbar gewesen: Die neue Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg funktioniert nie wirklich. Wir im Westen ließen und täuschen, glaubten an Verhandlungen, Putin wurde falsch eingeschätzt, die Verletzung der Ordnung nicht wirklich sanktioniert, man glaubte an „Frieden durch Handel“. Man hörte die osteuropäischen Stimmen nicht, die warnten.

Spätestens in der Corona-Krise war es deutlich sichtbar, wie sehr sich die Welt spaltete, gerade im Westen. Russland manipulierte und verbreitete seine Propaganda. Ein weltweites Netz rechtsextremer Parteien entstand, gut vernetzt mit Russland. Unzufriedenheit gegenüber den westlichen Regierungen verbreitete sich. Was Vance kürzlich über Europa und den Westen sagte, hat eine gewisse Wahrheit. Vieles im Westen kann durchaus berechtigt kritisiert werden. Aber nicht einfach, indem die andere Seite nicht kritisiert wird: der Angriff Russland nicht verurteilt, Putin und seine Gefährlichkeit nie erwähnt.

Die Entwicklungen der letzten Tage zeigen deutlich: Unsere gewohnte Ordnung, unsere Sicherheit ist vorbei. Wir werden sie nicht retten können. Die USA sind nicht mehr unsere Schutzmacht. Europa wird zur regionalen Macht, die sich selbst verteidigen muss, ihre Wirtschaft unabhängig von den USA entwickeln. 

Was gerade entsteht, ist eine neue multipolare Welt. Und es stellt sich die Frage, was heißt dies für uns, wie gehen wir damit um?

 

Rekonstruktion: Unsere Herausforderung im Blick auf die Zukunft

 

Wir müssen uns an die Weisheit von Kierkegaard erinnern: „Das Leben lässt sich nur rückwärts verstehen, aber leben müssen wir es vorwärts.“

 

Im Rückblick sehen wir vieles, was wir sehen hätten können. Doch der Rückblick, die nostalgische Sicht auf unseren anscheinenden Frieden, bringt uns nicht. Wir müssen uns der Herausforderung stellen, in der wir uns befinden. Vorwärtszugehen versuchen, trotz allem.

 

In diesem Bereich, so glaube ich, können wir viel von den Ukrainern lernen, die sich nicht einfach ergeben, zu überleben versuchen, uns verteidigen, trotzdem zu leben, an der Zukunft zu arbeiten und Neues zu entwickeln.

 

Wir sollten uns deshalb gegenseitig unterstützen, zusammen gehen, versuchen, den gemeinsamen Feind abzuwehren. Wenn es uns nicht gelingt, werden wir alle im Chaos enden.

 

Geistliche Perspektive

 

Zu Beginn habe ich erwähnt, was Roman Solvivy kürzlich sagte. Gott will, dass es uns allen gut ergeht und wir friedlich zusammenleben. Aber er tut es nicht ohne uns. Wir müssen wählen, uns entscheiden, ob wir das Gute oder Böse tun.

 

Die Zukunft liegt auch bei uns. Gleichzeitig glaubt Gott weiter an diese Welt und auch an uns. Wir müssen das Wagnis des Glaubens eingehen und das Gute tun. Wir müssen die gewohnte Komfortzone verlassen und versuchen, das Richtige zu tun.

 

Unser Felsen als Christen in den Stürmen der Zeiten ist Christus. Blicken wir auf ihn, den wahren Weltenherrscher. Lassen wir uns von seinem Handeln inspirieren. Er hört unsere Stimme, unsere Verzweiflung, unsere Fragen, unsere Hilflosigkeit. „Fürchtet euch nicht!“ So sagte er immer wieder seinen verängstigten Leuten. „In der Welt habt ihr Angst, aber ich bin bei euch.“ Christus sagt uns auch immer noch die Wahrheit der Bibel: „Suchet der Welt Bestes.“ „Ihr seid das Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt“. Und er lässt uns nicht allein: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen und werdet meine Zeugen sein.“

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