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Leserbriefe zum Thema Ukraine im Zofinger Tagblatt und NZZ

 

Leserbrief Max Hartmann «Zofinger Tagblatt», 16. November 2024

 

Wie wirksam die russische Propaganda wirkt, zeigt mir der Leserbrief von Markus Alder in der letzten Woche. Ich las ihn nach der Rückkehr von meinem zweiten Besuch dieses Jahres bei Freunden in Lwiw. Wer die Wirklichkeit dort erlebt und mit den Leuten spricht, schmerzen die Behauptungen des Leserbriefes sehr. Ich stand mit einem Freund auf dem Soldatenfriedhof am Grab seines Bruders, der in Bachmut gefallen ist, und war nur sprachlos. 

 

Dieser Krieg ist kein Stellvertreterkrieg, für den die USA und die NATO verantwortlich sind. Wir erleben heute erneut das alte russische Muster, das die Ukraine immer wieder unterdrücken und beherrschen wollte. Durch Hitler und Stalin wurde das Land zum Gebiet, in dem im 20. Jahrhundert am meisten Blut vergossen worden ist. Etwa die Hälfte der ganzen Bevölkerung wurde durch willentlich verursachten Hungertod, Krieg oder Ermordung umgebracht. 

 

Seit Beginn des heutigen Krieges sind mindestens 200 000 Menschen getötet worden. Zurecht fragte Julian Chaplinzky, ein stadtbekannter Architekt und persönlicher Freund von Mario Botta: «Wieviel Tote muss es für euch bei uns noch geben, damit uns richtig helft?» Ein junger Mann, der sich freiwillig zur Armee meldete, sagte zu mir: «Ich weiss, dass ich beim Einsatz sterben kann, aber ich will mir später keine Vorwürfe machen, ich hätte nichts getan, damit wir endlich frei und ohne Unterdrückung leben können.» 

 

Der Schreiber des Leserbriefes spricht über die Eroberungen Russlands  von «Befreiung» und «Entnazifizierung». Es gab damals in der Ukraine auch einige freiwillige und bei den Nazis sehr willkommene Helfer. Es geschah im Glauben, Hitler würde der Ukraine einen eigenen Staat erlauben. Als sich bald zeigte, dass es nicht so war, wandten sie sich enttäuscht ab und kämpften gegen die Deutschen und später Stalin. Heute hat die Ukraine einen Präsidenten, der jüdische Vorfahren hat, die Hitler töten liess. Seine Bereitschaft, nicht bequem vor dem Krieg zu flüchten und sterben zu müssen, wenn ihn die Russen gefangen nehmen, zeigt seinen unglaublichen Mut. 

 

Was ukrainisch Flüchtlinge mit Offroadern bei uns betrifft, sind dies keineswegs die Mehrheit. Ukrainer leisten sich, wie wir auch, gute Autos. Viele Ukrainer können und sollen nach dem Krieg zurückkehren, einige aber haben in den russisch besetzten Gebieten ihre alte Heimat für immer verloren. 

 

Max Hartmann

 

 

Leserbrief "Warum erschlägt der grosse Bruder den kleinen? Zofinger Tagblatt, 26. November 2024

 

Die mittel- und osteuropäischen Länder erlitten in der Geschichte des 20. Jahrhunderts eine zweifache tragische Ungerechtigkeit. Sie wurden von Hitler überfallen und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, ohne je gefragt zu werden, der Sowjetmacht unter Stalin und seinen Nachfolger ausgesetzt. Die Auflösung der Sowjetunion bedeutete für sie eine grosse Befreiung und erweckte die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Bald forderten alle diese Länder die zum Schutz ihrer Sicherheit die Einbindung in die NATO, im Blick auf die unsichere Entwicklung von Russland. Erst nach langem Drängen gaben schliesslich auch die USA dem Wunsch nach. Heute sind sogar Schweden und Finnland zu ihrem Schutz vor Russland Mitglieder geworden. Zudem hofften die mittel- und osteuropäischen Länder auf eine rasche Mitgliedschaft in der EU, wobei diese lange zögerte, da sie die bisherigen Mitglieder der grossen finanziellen Belastung bewusst war. Diese Länder waren nicht einfach Länder für billige Arbeitsplätze. Besonders erfolgreich entwickelten sich Tschechien und Polen, da sie eine Schocktherapie absolvierten und Korruption bekämpften.

 

Wenn Josef Herzog in seinem Leserbrief schreibt, Russland und die Ukraine wären nahe Brüder, warum erschlägt dann der grosse Bruder seinen kleinen Bruder in der Ukraine? Es ist mehr als gerecht, wenn die Ukraine heute für seine Verteidigung und später wie zuvor die anderen mittel- und osteuropäischen Länder Unterstützung erhalten. Der Wille der Ukrainer, Teil des Westens zu sein, darf nicht unterdrückt werden, auch wenn dem grossen Nachbarn nicht gefällt. Zudem sei erinnert, dass nicht nur die USA, sondern ebenso Russland grosse Kriege seit 1991 führte: in Afghanistan, Tschetschenien und in Syrien. Ihre Bombardierungen führten 2015 zu grossen Flüchtlingsströmen nach Europa. 

 

Max Hartmann, 

 

Leserbrief zu «Wir sehen in Putin das geborene Monster. Das ist Märchenlogik», Interview mit Eugen Ruge, NZZ 26. November 2024

 

Die Bücher von Eugen Ruge zeigten mir eindrücklich das Monstrum der sowjetische Wirklichkeit in seiner Verlogenheit im Verrat der eigenen Ideale und seiner unglaubchlichen kriminellen Energie mit Millionen von Opfern. Im Blick auf Putin unterschätzt er aber das Monstrum. Schon früh fand er im KGB die Möglichkeit, sich emporzuarbeiten und tat es aus Überzeugung. Damit war jedes Verbrechen an Gegnern des damaligen Systems gerechtfertigt. Später beteiligte er sich in Dresden an der Überwachung des «Feindes im Westen.» Diesem Vorgehen blieb er auch als Präsident treu. Zunächst zeigte er gegen Aussen seine freundliche Seite.

 

Er verhalf Russland nach den chaotischen Jahren nach dem Zerfall der Sowjetunion, für viele zu einem besseren Leben, innerer Stabilität und etwas Freiheit. Dazu war für ihn der Westen mit seinem Knowhow und Investitionen sehr willkommen. Er blieb aber seiner Überzeugung treu, dass der Zerfall der Sowjetunion die grösste globale Katastrophe gewesen sei. Seine Absicht war schon immer, Russland als das dem Westen überlegene Imperium wiederherzustellen. Dass er dazu alle Hebel in Bewegung setzte, die Grenzen des Völkerrechts immer weiter verletzte und Schritt für Schritte seine Gegner beseitigte, die russischen Medien gleichschaltete und seine Propaganda auch bei uns verbreitete, wurde im Westen hilflos geduldet. Sein wahres Gesicht wird bei uns immer noch zu wenig erkannt.

 

Den zweiten Fehler bei Ruge sehe ich in seiner Nichtbeachtung der russischen Geschichte mit den osteuropäischen Ländern. Ihre warnenden Stimmen etwa aus Polen odder dem Baltikum wurden überhört. Aus ihrer eigenen Erfahrung suchten sie deshalb früh den militärischen Schutz und die Hilfe beim Wiederaufbau im Westen. Sehr bedenklich ist zudem, dass die Ukraine auch heute noch vor allem als Objekt behandelt wird, über deren Schicksal andere entscheiden. Wir sollten die Ukraine längst als eigenständiges Subjekt ernst nehmen, das wir nicht der erneuten Erniedrigung durch Russland überlassen

 

Max Hartmann, Zofingen

 

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