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Die Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts in der Sojwetzeit und heute in der Ukraine

Diesen Frühling war ich in der Ukraine und erhielt den Rat, die aktuelle Ausstellung im Zentrum für die Intelligenz in Lwiw zu besuchen. Es begleitete mich durch die Ausstellung eine junge Frau, die sehr gut englisch sprach und mit während 90 Minuten sehr viel erklärte. Als ich ich dankte, sagte sie mir, dass es ihr viel Freunde bereitet hatte, jemanden viel erklären zu können, der echt interessiert ist und auch einiges wusste.

 

Was mir auffiel, war die besondere Qualität der Ausstellung. Vieles erschien mir viel wichtiger als das, was ich bei uns manchmal in der modernen Kunst sehe, wo ich vielen Provokationen begegne zu Themen, die für mein eigenes Leben nicht wirklich wichtig sind. Manchmal geht es eher um Probleme, die nur in einer sicheren Situation und Wohlstand entstehen können, obwohl ich ihnen nicht einfach alle Bedeutung absprechen möchte. Für mich gibt es die These, dass eine Kunst in der Verfolgung und in schwierigen Zeiten wie heute in diesem Krieg in der Ukraine, eine besondere Kraft hat. 

 

Dies bestätigt auch ein Beitrag in der NZZ über eine Ausstellung von Kunst, die seit Albrecht Dürer bis heute im Krieg entstanden ist. Hier konnte ich unter anderem lesen: 

 

Das ist Terror, Verrohung und Gleichgültigkeit: Der Krieg hat nur ein Gesicht

Maria Becker, 29. Dezember 2022


Von Dürer bis Richter: Das Winterthurer Museum Reinhart am Stadtgarten zeigt die schrecklichen Seiten des Kriegs

Wenige Künstler haben die Dynamik der Gewalt so eindrücklich ins Bild gesetzt wie Albrecht Dürer. Unaufhaltsam sprengen seine vier apokalyptischen Reiter über die Menschen am Boden, keiner kann ihnen entrinnen. Gleichmut steht in den Gesichtern der Reiter, der die Dynamik kontrastiert. Das Leid und die Verheerung unter ihren Hufen berühren sie nicht. Sie verkörpern die überrollende Gewalt von Krieg, Hungersnot und Tod. «Und es kam heraus ein Pferd, das war feuerrot. Und dem, der darauf sass, wurde Macht gegeben, den Frieden von der Erde zu nehmen, dass sie sich untereinander umbrächten, und ihm wurde ein grosses Schwert gegeben.»

 

Dürer hat die sprachmächtige «Apokalypse des Johannes» 1498 in Bilder umgesetzt. Das ohne Auftrag und aus eigener Initiative geschaffene Werk machte ihn weit über die Grenzen seiner Heimatstadt berühmt. Die Zeit war reif für Prophezeiungen und Endzeitvisionen. Der Meister hat die Zeichen wohl erkannt und wusste das für seine Kunst nutzbar zu machen. Das «Grosse Buch», wie er die Holzschnittfolge nannte, übertraf an expressiver Wucht alles, was die Druckkunst bis dahin kannte. Die Auflage war hoch und brachte ihm beträchtliche Einkünfte. Dürer beschäftigte sogar eigene Reisediener, die von Stadt zu Stadt fuhren und die Drucke verkauften.

 

Furchtbare Aktualität

 

Die Idee und die Konzeption zu «Kunst und Krieg» sind vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine entstanden. Jetzt hat die Schau eine furchtbare Aktualität erfahren. Wir können nicht mehr sehen ohne die medialen Bilder im Hinterkopf. Das Zusammentreffen mit der Realität wirkt beklemmend. Es ist, als ob sich etwas Unvorhergesehenes plötzlich krass bewahrheiten wollte. Das Geschehen in der Ukraine, das wie eine Auferstehung des Kriegs aus unserer jüngeren Historie anmutet, erscheint aus der Distanz unwirklich. Doch wir wissen: Es ist so real wie ein Bombenkrater.

 

Besonders verstörend ist, dass die Greuel in den Grafiken von Goya und Callot sich in den Bildern der Kriegsverbrechen in der Ukraine spiegeln. Es ist nicht der virtuelle Krieg wie in den Videos von Harocki, der sich in Gesichtern von gamenden Soldaten und traumatisierten Veteranen abzeichnet. Es sind die Bilder aus der Zeit vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, die auferstanden sind: Die gleiche Grausamkeit und Verrohung und die gleiche Abstumpfung vor dem Tod. Der Krieg mache mehr Menschen böse als er töte, hiess es in der Antike. In der Ukraine zeigt er sein uraltes Gesicht.

  

Art of cynical Discourses

The Cynical Discourses ist die Essenz dessen, was man über Postmodernisten sagen kann. Das ist ein weiteres Phänomen der intellektuellen Kunst, das mit der Logik der Evolution bricht. Denn welche Logik kann es geben, wenn die größten Schöpfungen der Menschheit (Fortschritt, Technologie, Industrie) gegen die menschlichen Werte rebelliert und sie durch eine Konsumkultur ersetzt haben? Die gesamte Erfahrung der Menschen, die in den 1970er Jahren kreativ waren, ist ein Kampf gegen die Lügen der Theorien des 20. Jahrhunderts. In der Ukraine fällt der Beginn dieses Prozesses mit dem Zusammenbruch der "Werte" der UdSSR zusammen, so dass die ersten Künstlerinnen und Künstler der Bewegung entschlossen sind, Lügen und Wahrheit "live" zu analysieren, die Details des Lebens wie auf einem Präsentierteller zu durchschneiden.

 

Die Metaphysik der Realität in der Kunst von Roman Zhuk (1955) ist ein Versuch, verborgene Bedeutungen jenseits des Bildrahmens zu finden. Sein „Nachtstillleben“ ist zum Beispiel gar kein Salongenre, sondern eine tiefgründige Metapher für den Kontrast zwischen der „Eitelkeit der irdischen Welt“ und den „Horizonten des Universums“. Das globale Phänomen des Hyperrealismus, das erstmals 1973 in Brüssel auftauchte, steht im Einklang damit. Amerikanische Künstlerinnen und Künstler, die den Hyperrealismus auf Ausstellungen in Europa präsentierten, stellten eine Weltanschauung einer imaginären Realität dar. Das gilt auch für die Werke des amerikanisch-ukrainischen Künstlers Jacques Hnizdovsky (1915-1985) in den 1970er Jahren.

Die Anfänge des Diskurses in der Ukraine werden mit der Hippie-Subkultur, ihrem Sinn für Freiheit, ihrem Kosmopolitismus und ihrem Interesse an esoterischen Praktiken in Verbindung gebracht. Die Metaphysik jenseits des Realen enthüllt das Weltbild dieser Bewegung in den Werken von Yaroslaw Kachmar (1955). Die Vorstellungskraft des Künstlers geht weit über die Grenzen des Sichtbaren hinaus, und seine großformatigen organischen Abstraktionen sind den wissenschaftlichen Entdeckungen auf dem Gebiet der Biologie voraus. Bei den Bildern und der Desintegration geht es auch um die zynische Diskurskunst, denn der Zusammenbruch der Materie ist der Beginn der kalten Analyse. Die taktile Abstraktion von Marian Oleksiaks (1959) zeigt, wie die Zeit die materiellen Oberflächen zerstört. In der Grafikserie „Monuments“ zeichnet Ihor Podolchak (1962) „Helden, die sich auf einem Sockel zersetzen“ und ironisiert den Müll der Geschichte.

 

Im Allgemeinen sind die Intellektuellen dieser Ära zynische Jägerinnen und Jäger. Sie glauben, dass ihre Vorgänger die Wahrheit nicht kannten, und sehen es daher als ihre Aufgabe an, sie am Rande der Geschichte zu finden. In der Kunst dieser Zeit werden Bezüge geschaffen und die Künstler sprechen dann im Namen der Öffentlichkeit, als ob ihre Urheberschaft nicht wichtig wäre. Petro Hulyns Triptychon „Dialog bei Nacht“ (1942) lässt sich je nach Alter und Geschlecht des Betrachters unterschiedlich interpretieren. Jeder Satz ist, wie in der Kunst dieser Zeit, eine persönliche Geschichte eines neuen Weges. Das künstlerische Bild kennt hier keine Grenzen der „Kunst ist keine Kunst“, weil die Schönheitsalgorithmen zugunsten neuer relevanter Bedeutungen zerstört werden. In dem grünhäutigen „Saverage“ von Zhuk geht es um die Akzeptanz von Andersartigkeit, denn Toleranz gegenüber dem Anderen ist ein neuer Schlüssel zum Überleben.

In Zeiten des zynischen Diskurses wurde natürlich auch das Thema Apokalypse aktuell diskutiert. Nicht unbedingt die nukleare, aber die in den frühen 1980er Jahren, die den „Cyperpunk“-Trend auslöste. Die Ideen von Transgender und globaler Variabilität als Garantie für das Überleben der Menschheit wurden erstmals erwähnt. Fragmente von Anatol Stepanenkos (1048) berühmter Serie „Transmutaion“ und sein Polytych „X-Goetheia“ sind Anklänge an den Cyperpunk“.

Der Geist der Dekonstruktion war in der ukrainischen und internationalen Kunst jener Zeit präsent. Künstler, Philosophen und Dichter zerlegten die Geschichte der Wortbilder in ihre Bestandteile, nicht um sie zu zerstören, sondern um die Vielfalt der Bedeutungen zu bewahren, wie der Ideologe der Dekonstruktion, der Philosoph Jasques Derrida (1930-2004), einmal sagte.

 

Ein tiefes Eintauchen in das kollektive Unterbewusstsein und die Offenbarung von Archetypen in den Kunstwerken von Petro Staruk (1961) und Mahkailo Krasnyk (1959) ist ein einzigartiger Zweig in der Kunst des zynischen Diskurses, da er ein Verständnis für die Ursache unserer Fehler und unerkannten kollektiven Talente vermittelt.

 

 

Auf diesem  Mauerstein kommt eine neue Ära in der Geschichte des rationalen Diskurses, mit der wir in das digitale Zeitalter eingetreten sind. Die Suprematisten-Serien von Alfred Meksymenko (1951), Hanna Kuts (1971-2006), Viktor Dovhaliuk (+1957) und Platon Sivelstrov (+1954-2018) zeigen die Kontinuität des ukrainischen Fortschritts von Kazymyr Malevich (1878-1935) bis heute.

 

Unten die erwähnten Werke. 

 

in memoriam roman zhuk

Geboren 13. am August 1987 in Mukachevo in den Transkarpaten, getötet am 6. Mai 2022 in der Nähe von Saporischschja. Ukrainischer Fotograf, Videofilmer, Umweltaktivist. Beteiligte sich freiwillig an der militärischen Verteidigung der Freiheit seines Landes. Begräbnis am 31. Mai 2022 in seiner Heimatstadt. Hinterlässt seine Frau und zwei Kindern. 

 

Posthum erhielt der Orden  für besonderen Mut, 3. Grades. Zu seiner Erinnerung wurden im Oktober 13 000 Tulpenzwiebeln in einem grossen Beet gegenüber der Staatlichen Universität Mukachevo gepflanzt, wo Roman studiert hatte. Im zur Ehre gab es einige Videoclips, so etwa über ein berühmtes Volkslied der Gegend. 

 

 

Wie sich seine Frau Lena Zhuk immer wieder betont, meldete sich Roman ohne ihre Wissen bei der Armee und sagte ihr dann beim Abschied:. "Wir haben nicht viel Zeit. Wir müssen den Feind stoppen, damit unsere Kinder später nicht auch kämpfen müssen." Vor dem Krieg produzierten die beiden spezielle Marmelade aus Beeren der Karpaten und verarbeiten sie in Jaffins, der Erlös ging an Umweltprojekte. Sie organisierten auch Öko-Picknicks am Ufer des Vilshan-Stausees, wo die Leute immer wieder ihren Müll in den See warfen. In 17 Anlässen fischten dann die Teilnehmer Tonnen von Müll aus dem See. An diesem Ort wurde auch besonders Roman gedacht. 

 

Romans Slogan "Reinigen Sie die Karpaten wie in Ihrem eigenen Haus" führte zu Bewegung von Tausenden von Menschen, die ihm seiner Frau halfen, diesen Seel zu retten. Heute ist er Teil eines geschützten Reservates, wie Roman Zhuk es sich erträumt hat.

 

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