Ist Gott gerecht? Das Beispiel von Hiob
Für dieses Jahr haben sich die Künstlerinnen und Künstler für ihr Treffen aus schwierige Thema von Gottes Gerechtigkeit gewünscht. Es findet gerade in der Ukraine statt, trotz der schwierigen Lage durch den Krieg. Ich dufte dazu einen biblischen Impuls verfassen. Das Thema beschäftigt mit auch aus eigener traumatischer Erfahrung in der Kindheit sehr. Ich musste mich vor einigen Jahren deshalb ärztlich behandeln lassen. Auch schon im Studium besuchte ich eine gute Vorlesung an der Universität Bern, die mir bis heute wichtige Erkenntnisse brachten.
Bild: Bronzeskulptur Hiob, vor Klarakirche in Nürnberg
Dieses schwierige Thema steht im Mittelpunkt des diesjährigen Pleinairs für Ikonenmalende. Während die Teilnehmenden arbeiten, sind es bald tausend Tage seit Beginn des russischen Angriffkrieges.
Als ich diesen Frühling in Lemberg war, konnte ich mich mit dem Künstlerfreund und Stadtplaner Julian Chaplinzky treffen, der mir sagte: «Was wir heute erleben, ist die Wiedergeburt des alten Totalitarismus, der bald einmal unsere ganze Welt beherrschen wird.» Dies ist eine sehr ernüchternde Erkenntnis und löst viele Fragen aus.
Das Problem der Theodizee beschäftigte auch den Dichter Johann Wolfgang von Goethe. Das Erdbeben von Lissabon 1755 tötete nicht nur 100 000 Menschen, sondern prägte wie keine andere Katastrophe zuvor den Glauben und das Denken in Europa. Die Aufklärung in Europa führte bald dazu, dass immer mehr Denker Gottes Existenz grundsätzlich bezweifelten. Und falls es doch so etwas geben sollte, müsste er uns als Monstrum erscheinen, der das Schreckliche nicht verhindert, sondern geradezu zulässt.
Das uralte Thema von Gottes Gerechtigkeit steht auch im Mittelpunkt des biblischen Buches Hiob. Darin lässt sich eine sehr klare, geradezu kunstvolle Ordnung erkennen. Sie entspricht der Vorstellung des bekannten Ikonenkünstlers Jerzy Nowosieslki, der einmal sagte: „Ein gutes Kunstwerk sollte in seiner Komposition eine klare Ordnung erkennen lassen.“
Die theologische Forschung unterscheidet im Aufbau der Buches Hiob zwischen einer „Rahmengeschichte”, verfasst in Prosa, und dem sehr langen Hauptteil, sehr gekonnt verfasst in Lyrik. Sie vermutete, dass die beiden Teile aus unterschiedlichen Quellen stammen müssen, die verschiedene Ansichten zur Frage nach Gottes Gerechtigkeit vertreten. Heute wird das Buch vermehrt wieder als Einheit gesehen. Diese Meinung entspricht auch den Erkenntnissen der Psychologie im Bereich traumatischer Erfahrungen. Wenn es nur die Ansicht der Rahmengeschichte gäbe, müsste sie sogar als psychologisch gefährlich beurteilt werden.
Das Böse begegnet uns im Buch Hiob in der Gestalt des Satans. Er tritt vor Gott mit der durchaus realistischen Behauptung: Hiob glaubt bloß an ihn, weil es ihm sehr gut sehr geht. Gott muss ihm einfach seinen ganzen Reichtum wegnehmen, und er wird sehen, wie Hiob ihm ins Angesicht lästert.
Weil Gott aber glaubt, dass Hiobs Frömmigkeit echt ist, erlaubt er dies Satan. Was danach folgt, sind die berühmten „Hiobsbotschaften“: Räuber fallen ins Land, stehlen die unglaublich große Viehherde Hiobs und töten auch seine Knechte. Als Hiob die Nachricht erhält, folgt die nächste Hiobsbotschaft: Als seine Söhne eine große Party feiern, zieht ein gewaltiger Sturm auf, zerstört ihr Zelt und tötet alle.
Hiob reagiert unglaublich gottergeben, wenn er auf alles nur sagt „Der HERR hat gegeben, der Herr hat genommen, der Name des Herrn sei gepriesen.“(Hiob 1,21) Satan hingegen gibt seinen Plan nicht auf und fordert von Gott noch einen härteren Test: „Lass Hiob todkrank werden, und er wird dir bestimmt ins Angesicht lästern.“ Auch dies lässt Gott zu, für uns völlig unverständlich. Hiob überfallen böse Geschwüre von seiner Sohle bis zum Scheitel. Sie plagen ihn dermaßen, dass kein Mensch dies aushalten könnte. Das Ganze steigert sich, da Hiobs Frau ihm sagt: „Bist du denn immer noch überzeugt, dass du schuldlos bist an dem allem? Lästere Gott und stirb!“ Und Hiob antwortet immer noch ganz überzeugt: „Das Gute nehmen wir von Gott, und das Böse sollten wir nicht annehmen?“ (Hiob 2,10)
Ich schäme mich, wenn ich diese Worte auch heute höre, wenn sehr fromme Menschen verursachen, andere zu trösten, die ein schweres Schicksal erfahren haben. Was sie sagen, ist zwar gut gemeint, aber völlig unangebracht. Wenn ich so etwas jemandem in der Ukraine im heutigen Krieg sagen würde, wären es einfach giftige Pfeile, die sehr verletzend wirken.
Wenn wir im Buch Hiob nur diesen ersten Teil lesen könnten, die Rahmengeschichte, wäre es für uns einfach eine alte Geschichte, wie wir sie auch bei bestimmten Heiligen finden, die bereit waren, als Märtyrer zu sterben. Oder wir würden den Gottesglauben von Hiob als krankhaft bezeichnen.
In der Fortsetzung des Buches finden wir aber auch einen anderen Hiob, der sich nicht einfach nur seinem Schicksal als gottgegeben fügt, sondern seine Widerstände zeigt.
In meiner Seelsorge bin ich auch schon Menschen begegnet, die zunächst wie Hiob reagierten. Sie erschienen mir unglaublich gelassen und wurden in ihrer Schicksalsergebenheit sogar von vielen bewundert, aber dennoch machte ich mir sehr Sorgen um sie. Irgendwann verlieren sie ihre Ruhe, geraten in eine große Krise, bis sie endlich ihre verdrängten Gefühle und Fragen zulassen können und die dann eine lange Zeit der ärztlichen Behandlung braucht. Die anderen Menschen aber, die ihre Gefühle und Fragen schon früh zulassen können, bereiten mir weniger Sorgen. Doch manchmal sind auch dann Fachpersonen nötig.
Hiobs Weg zurück zum Leben wird zu einer langen Geschichte. Sehr hilfreich erfährt er, dass bald einige seiner Freunde zu ihm kommen. Sie setzten sich sieben Tage einfach nur zu ihm und schweigen mit ihm zusammen. Doch dann beginnt Hiob plötzlich zu sprechen. Wie eine Lawine überfällt ihn das Ganze und er sagt in seiner völligen Verzweiflung: „Getilgt sei der Tag, da ich geboren wurde, und die Nacht, die sprach: Ein Knabe ist empfangen worden. Warum durfte ich nicht umkommen im Mutterschoss, aus dem Mutterleib kommen und sterben? Warum nahmen mich Knie entgegen, und wozu Brüste, dass ich trank? Ich läge jetzt schon und ruhte aus, ich schliefe und hätte Ruhe. Warum gibt er dem Leidenden Licht und Leben denen, die verbittert sind? Wovor mir Angst war, das hat mich getroffen, und wovor mir graute, das kam über mich. Ich habe weder Frieden gefunden noch Rast noch Ruhe, nur Unruhe hat sich eingestellt.“ (Aus Hiob 3)
Nun schweigen auch seine Freunde nicht mehr. Entsetzt versuchen sie ihm zu helfen, und verwenden dabei Ansichten, die wir heute noch kennen. Die Theologie bezeichnet ihr Schema als „Tun-Ergehen-Zusammenhang“. Sie vertreten die Meinung, dass nichts auf dieses Welt grundlos geschieht. Wer sündigt, erfährt irgendeinmal an sich die entsprechenden Folgen. Schweres Schicksal ist verdient.
Doch Hiob widerspricht, und das immer wieder über viele Kapitel. Er findet mit bestem Willen nichts, weshalb er sein Leiden verdient hätte. Er verweigert sich mutig, sich ein schlechtes Gewissen einzureden. Hiob stellt auch Gott infrage: Nicht, dass er seine Existenz verleugnen würde, aber er möchte eine Antwort von ihm erhalten. In diesem Zusammenhang stehen die berühmten Worte, die wir auch in einigen Oratorien berührend hören können: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“, wörtlich: “Ich weiß, dass (Gott,) mein Anwalt lebt.“ Er ist überzeugt, dass Gott ihm Recht geben muss.
Weil Hiob die unpassenden Ansichten seiner Freunde verwirft, versucht es ein anderer, der es besser zu wissen meint. Seine Überzeugung ist sprichwörtlich geworden: „Wenn Gott liebt, den züchtigt er.“ (Diese Worte finden wir nur einmal in der Bibel, in Hebräer 12,6). Doch Hiob verweigert sich auch dieser Gottesvorstellung.
Also bleibt zuletzt für ihn nur noch Gott. Und endlich geschieht es, Gott beginnt zur reden. Was Gott ihm aber alles sagt, erscheint uns sehr merkwürdig. Er redet einfach nur sehr lange über viele Geheimnisse in der Schöpfung, die uns Menschen bewusst machen, wie wenig wir auch heute wissen. Gott erteilt Hiob eine große Lektion in Tierkunde. Gott gibt ihm Einblicke in seine Grösse, und lässt ihn ahnen, wie gross er auch im Blick auf den Menschen sein muss.
Doch sehr erstaunlich, Hiob findet zum Frieden. Nicht, dass er nun wüsste, weshalb er leiden musste. Doch es gelingt ihm, ohne eine echte Antwort zu leben. Auch ein grosser Gottesglaube ist keine Erklärung für alles. Vielleicht werden wir später die Hintergründe erfahren, wenn wir Gott selbst in seiner Ewigkeit begegnen. Vielleicht wollen wir es dann aber auch gar nicht mehr wissen.
Zusätzlich zieht Gott Hiobs Freunde zur Rechenschaft: „Ihr aber habt nicht die Wahrheit über mich gesprochen wie mein Diener Hiob“. (Hiob 42,7) Diese Aussage gehört für mich zum Größten, was wir über Gott in der Bibel lesen. Denn es zeigt uns, dass Gott es gut findet, wenn wir unsere Fragen zulassen und uns nicht billig vertrösten lassen. Wir dürfen Gott, wie Hiob es tat, unsere Fragen stellen. Ich glaube, dass Gott im Blick auf uns Menschen eine dicke Haut besitzt. Aber er duldet nicht einfach von uns falsche Gottesbilder, die ihn auf unser eigenes Schema beschränken.
Zurück zur Frage, warum lässt Gott das Böse zu? Es existieren für uns keine befriedigenden Antworten. Es gibt aber einen Weg, den das Buch Hiob aufzeigt und die Kenntnisse der Psychologie bestätigen.
Max Hartmann
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