Wahrheiten, Halbwahrheiten, Lügen.
Erzählungen über Russlands Krieg in der Ukraine
Universität Basel, 25. April 2023
Immer wieder begegnen mir Menschen, die beeindruckt sind von den Vorträgen von Daniele Ganser. Sehr hilfreich erscheint mir das Podiumsgespräch an der Universität Basel, wo qualifiziert Stellung bezogen wird, und sich auch verstehen lässt, warum viele Leute von ihm begeistert sind.
Bild: Danylo Movchan, Aquarell zum Krieg
Manuskript des Mitschnittes
Guten Abend, sehr geehrte Damen und Herren,liebe Podiumsgäste und herzlich willkommen zur Podiumsdiskussion „Wahrheiten, Halbwahrheiten und Lügen - Erzählungen über Russlands Krieg gegen die Ukraine“.
Mein Name ist Boris Belge und ich arbeite als Postdoc ebenfalls an der Professur für osteuropäische Geschichte an einem Forschungsprojekt zur Geschichte des Hafens von Odessa.
Das Thema des heutigen Abends ist zugegebenermaßen kein einfaches. Der von Russland entfesselte Angriffskrieg tobt bereits seit 14 Monaten. Vor etwa einem Jahr erfuhr die Weltöffentlichkeit vom Massaker von Butscha. Kein Tag vergeht ohne Nachrichten aus Kyjiw, Charkiw, Bachmut oder Odessa.
Orientierung tut Not. Und Wissenschaft und Journalismus helfen dabei, historische Entwicklungspfade und aktuelles Zeitgeschehen einzuordnen.
Die heutige Veranstaltung will Aufklärung betreiben. Wahrheiten, Halbwahrheiten und Lügen bestimmen die Erzählungen über den Krieg gegen die Ukraine, und es ist wichtig, dies auseinanderzuhalten.
Die Veranstaltung steht auch in Bezug zu den Auftritten von Daniele Ganser in Basel in dieser Woche. Das Vorhaben, mit Erzählungen über den Krieg Russlands Geschäfte zu machen, wollen wir vonseiten der Wissenschaft im Profilbereich Osteuropa und im Zentrum für jüdische Studien nicht unwidersprochen lassen.
Das Interesse am Thema ist groß. Ich erinnere mich an mein erstes Interview und es war auch ein letztes, das ich mit Daniele Ganser geführt habe. Ich habe ihn ganz am Schluss des Interviews gefragt, wo die Grenze liegt zwischen seriöser Wissenschaft und Verschwörungstheorien.
Und er hat mir geantwortet, wie er das so tut, aus der Kanone geschossen, hat gesagt, bei den Fakten, bei den Quellen.
Ja, und um Quellen, um Fakten, um Halbwahrheiten und um Verschwörungen wird es auch auf diesem Podium heute Abend gehen, mit Blick auf die Erzählungen von Daniele Ganser, aber natürlich auch darüber hinaus.
Und wir werden, darauf können sie gefasst sein, Daniele Gansers Bezug auf diese Fakten, auf diese Quellen immer auch mitdenken und ihn und andere messen an dieser Aussage.
Ich wiederhole, dass die Grenze zwischen Wissenschaft und Verschwörungstheorien genau dort liegt, bei den Fakten und bei den Quellen.
Ich freue mich, dass wir diese Diskussion hier mit den vielleicht besten Expertinnen zum Thema führen können. Und ich freue mich auf die Diskussion mit Nicola Gess, mit Silvia Sasse, mit Benjamin Schenk, mit Sebastian Ramspeck und mit Oliver Nachtwey, die ich nachher alle gleich noch genauer vorstellen werde.
Ja, und damit möchte ich bei Ihnen beginnen, Nicola Gess. Nicola Gess, Die sind Professorin für neuere deutsche und allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Basel.
Sie leiten hier ein interdisziplinäres Forschungsprojekt des Schweizerischen Nationalfonds zum Thema, „Wahrheit, Fiktion und Konspiration im postfaktischen Zeitalter“. Ein Buch dazu ist von ihr 2021 erschienen.
Als ich mich vorbereitet habe auf das Podium hier, habe ich wirklich gedacht, wir reden immer von Lügen, wir reden von irgendwelchen Unwahrheiten. Aber Sie haben mich davon überzeugt, dass Halbwahrheiten ein großes Problem sind.
Nicola Gess: Ja, ich freue mich, dass ich Sie überzeugen konnte. Ich werde hier also den Anfang machen mit meinem Statement und zwei Themen aufgreifen, die uns heute sicher beschäftigen werden.
Das eine Thema ist die Desinformation, das andere Thema Verschwörungstheorien.
Manchen von Ihnen ist vielleicht die sogenannte Plurf oder auch Plurf-Formel bekannt, mit der wesentlichen Strategien der Desinformation benannt werden.
P wie Pseudo Experte, L wie Logikfehler, U wie unerfüllbare Erwartungen, R wie Rosinenpickerei und V wie Verschwörungserzählung.
Aus diesem weiten Reigen der Desinformation greife ich heute nur die Halbwahrheit heraus, die zu den am weitesten verbreiteten und perfidesten Formen der Desinformation gehört.
Halbwahrheiten sind Aussagen, die zu einem kleinen Teil auf tatsächlichen Ereignissen, zu einem anderen aber auf Erfindungen oder bloßen Spekulationen beruhen.
Oder auch Aussagen, die einen Sachverhalt grob verzerrt darstellen oder wesentliche Informationen weglassen. Sie sind häufig schwerer zu widerlegen als vollständige Lügen, weil ihr faktoider Anteil, so klein und nebensächlich erscheinen mag, sie gewissermaßen vor der Enttarnung schützt.
Das gilt vor allem dann, wenn beim Publikum ohnehin eine gewisse Bereitschaft da ist, die Erzählung, die durch die Halbwahrheit unterstützt werden soll, zu glauben.
Die Widerlegung der Halbwahrheit, in der Regel nach dem „Ja, das und das stimmt zwar, aber das und das stimmt eben nicht“. Also diese Widerlegung stößt dann auf taube Ohren. Dass ein Teil zu stimmen scheint, reicht, um auch den Rest zu glauben.
Ihr faktoider Anteil verleiht der Halbwahrheit den Anstrich der Faktizität, während ihr fiktiver Anteil uns in Erklärungsmustern oder Grundstimmungen bestätigt, die uns schon lange vertraut sind.
Halbwahrheiten sind aber vor allem auch deswegen so perfide, weil sie letztlich die Unterscheidung von Wahrheit und Unwahrheit untergraben.
Sie stoßen die Tür zu einem Universum auf, in dem diese Frage schlicht irrelevant wird und stattdessen die Kohärenz, also das Zusammenstimmen einer Aussage mit dem Weltbild der Zuhörenden oder mit deren emotionaler Verfasstheit zum Maßstab der Bewertung wird.
Natürlich ist es oft alles andere als einfach zu wissen, was denn nun stimmt und was nicht. Und häufig genug sind die zu beurteilenden Situationen auch sehr widersprüchlich und komplex und ihre Einschätzung äußerst schwierig und voraussetzungsreich. Zudem wäre es auch naiv anzunehmen, dass es irgendeinen rein objektiven Betrachterstandpunkt geben könnte.
Doch ist die Konsequenz aus all dem nicht, die Suche nach der Wahrheit gleich ganz ad acta zu legen, sondern wissenschaftliche Verfahren zu etablieren, die ihre Grundannahmen und Methoden transparent machen und auf umfangreichen Prüfmechanismen basieren.
Halbwahrheiten kommen auch gerne im Kontext von Verschwörungstheorien zum Einsatz, um diese mit einer Art von Scheinevidenz zu versorgen.
Das ist insbesondere dort der Fall, wo die Verschwörungstheorie noch um neue Anhängerinnen und Anhänger wirbt und insofern zumindest suggerieren muss, an einem faktenbasierten Diskurs zu partizipieren.
Das Verhältnis von Verschwörungstheorien zum Expertendiskurs beschreibt man am besten als Mimikry, also als eine Art Nachahmung oder Verkleidung. Verschwörungstheorien betreiben Mimikry an einen wissenschaftsbasierten Diskurs.
So verschaffen Verschwörungstheoretiker ihren Behauptungen z. B. gern Glaubwürdigkeit, indem sie sich auf Personen mit Dr. oder Professorentitel berufen. Oder sie imitieren einen akademischen Duktus, indem sie ihre Texte mit einem umfangreichen Fußnotenapparat versehen.
Oder sie suggerieren empirische Evidenz, indem sie eine Flut vermeintlicher Belege anführen, die jedoch extrem selektiv, das heißt immer schon auf ihre Passförmigkeit hin ausgewählt sind.
Aber die Geister von Wissenschaft und Verschwörungstheorie scheiden sich auch an ihrer Bereitschaft zur Falsifizierung, also zur Widerlegung der eigenen Annahmen.
Während die Falsifikation zu den Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens gehört, sind Verschwörungstheoretiker an ihr gerade nicht interessiert.
Bei ihrer Kultivierung des Zweifels handelt es sich vielmehr um den Unwillen, den theoretischen Grund, auf dem sie stehen, die Weltanschauung und Ressentiments, die sie mit sich tragen, ins Wanken geraten zu lassen.
Sie geben vor, ihre Hypothesen zu überprüfen, stellen sich jedoch der Prüfung auf Falsifizierbarkeit gerade nicht anders als wissenschaftliche Theorien, die zu eben diesem Zweck ihre Methoden und Grundannahmen offenlegen und sich einem Test durch die wissenschaftliche Community unterziehen.
Den größten Teil ihrer Überzeugungskraft beziehen Verschwörungstheorien jedoch aus einer ganz anderen Logik.
Und zwar funktionieren sie in der Regel wie Geschichten. Geschichten geben uns Orientierung. Sie formen aus einer unübersichtlichen und komplexen Welt lineare Erzählungen, in der die Pläne und Konflikte der Heldinnen und Helden eine Handlung vorantreiben, die zielgerichtet auf ein oft versöhnliches, manchmal auch tragisches Ende hinausläuft.
So was erwarten wir auch von einem gut erzählten oder konventionell erzählten Roman. Also dass dort nichts aus Zufall geschieht, dass alles mit allem zusammenhängt und dass auch das kleinste Detail noch Bedeutung für das Ganze hat. Und solche literarischen Gesetzmäßigkeiten zeichnen auch Verschwörungstheorien aus.
Dabei rekurrieren sie auf eines der ältesten Basisnarrative überhaupt, nämlich den mythischen Kampf zwischen Gut und Böse und passen darin einen Plot ein, wie wir ihn etwa aus Spionageromanen kennen.
In einer unübersichtlichen und verunsichernden Situation können sie so Orientierung verschaffen. Sie wirken zudem auch identitätsstiftend und verleihen imaginäre Handlungsmacht. Und all das macht ihren Reiz aus. Ja, und auf all diese, auf all diese Punkte kommen wir in der Diskussion sicher noch zu sprechen.
Ich habe mir hier auch den Begriff der Heldenreise aufgeschrieben, also eben dieses narrative Prinzip, wo eben der Held hinausgeht auf der Suche nach der Wahrheit und sie natürlich dann auch findet.
Wir kommen zu Ihnen, Silvia Sasse. Sie sind Professorin für slawistische Literaturwissenschaft an der Universität Zürich.
Sie sind Mitbegründerin und Mitglied des Zentrums Künste und Kulturtheorie an der Universität Zürich und Mitherausgeberin von Geschichte der Gegenwart, die nichts mit der Universität Zürich zu tun hat, muss man betonen. Zuletzt erschienen ist von Ihnen das Werk „Verkehrungen ins Gegenteil“ über Subversion als Machttechnik, ebenfalls bei Matthäus Zeiss. Sie beschäftigen sich mit Desinformation und Propaganda und ich gebe ihnen jetzt das Wort, Silvia Sasse, dass Sie uns einführen ein bisschen in diese Thematik.
Ich könnte im Grunde gleich anschließen an das, was Nicola Gess gesagt hat, hat mit den Halbwahrheiten, weil das ist etwas, was ich in meiner Beschäftigung auch täglich erlebe.
Silvia Sasse: Ich beschäftige mich vor allen Dingen im Moment mit russischer Propaganda und Desinformation, habe aber, damit sie ein bisschen wissen, wo ich herkomme oder was ich geforscht habe, auch 10 Jahre lang in den ehemaligen Geheimdienstarchiven in Osteuropa geforscht. Da liegt ja gewissermaßen offen, kann man sehen, wie Desinformation funktionierte. Ich sage immer ehemalige Geheimdienstarchiven.
In Russland kann man diese Forschung nicht machen, da gibt es kein ehemaliges Geheimdienstarchiv, was ich ihnen heute kurz vorstellen möchte, ist eine Überlegung, die mit dem Buch zu tun hat, was ich gerade geschrieben habe, Verkehrungen ins Gegenteil.
Ich habe mir noch mal ein paar Videos auch angeschaut von Herrn Ganser und auch aus der russischen Desinformation, was ich sowieso sehr oft mache, und möchte ihnen ein paar Überlegungen mitgeben.
Wenn man sich die Vorträge von Herrn Ganser anhört, dann fällt auf, dass er zwar regelmäßig die Themen wechselt, so war etwa 9/11 ein großes Thema, dann Corona, jetzt die Ukraine, dazwischen waren auch noch ein paar, aber dass immer etwas im Grunde gleich bleibt, und zwar das konsequente Schüren von Zweifeln an der Berichterstattung der Medien.
In einem Vortrag sagt er z.b. dass er den Zuhörerinnen mehr Mut zur Kritik beibringen möchte, und beklagt, dass er seiner Kritik wegen nicht mehr überall veröffentlicht werde.
Das ist, finde ich, seine Art Metaplot der Aussagen, wer in unserer Gesellschaft tatsächlich kritisiert wird, diffamiert und zensiert.
Diese Strategie ist in einigen wesentlichen Punkten vergleichbar mit der der russischen Inlands und Auslandspropaganda, die seit 2014, seit der Besatzung der Krim massiv hochgefahren worden ist. Auch bei RT, die hießen mal Russia Today, inzwischen nur noch RT, dem bekanntesten Auslandspropagandasender, geht es in einer Metaperspektive darum, sich selbst immer als die zweite Meinung oder die andere Perspektive oder sogar als gegen Öffentlichkeit zu präsentieren und gleichzeitig Teile der deutschsprachigen Medien, also diejenigen, die den Krieg gegen die Ukraine und die massiven Repressionen in Russland kritisieren, als Staatsmedien zu diffamieren.
Ganz in diesem Sinn sympathisiert RT auch mit Daniele Ganser. Ganser ist bei RT ein beliebtes Sujet oder ein beliebtes Beispiel dafür, dass die westliche Presse die Meinungsfreiheit einschränkt.
Bei RT heißt es z. B., ich zitiere „Deutschland ist auf dem Weg in den autoritären Staat – die Kampagne gegen Daniele Ganser“.
Das ist es, was ich als Verkehrung ins Gegenteil bezeichne, den anderen konsequent zu unterstellen, was man eigentlich selber tut, und umgekehrt sich die positiv besetzten Begriffe und Konzepte des anderen aneignen. Während also, wie sie alle wissen, in Russland kritische Medien verbotenen Dissidenten als fünfte Kolonne des Westens oder als westliche Agenten diffamiert und eingesperrt werden, präsentiert sich die russische Propaganda in Deutschland als die Andersdenkenden.
Also sie eignen sich als autoritärer Staat jenen Begriff an, den einst die sowjetischen Dissidentinnen in den seit den er Jahren verwendet haben.
Die Verkehrung ins Gegenteil betrifft auch konsequent die Berichterstattung über die Ukraine. Daniele Ganser bezeichnet die ukrainische Revolution von 2014, wie im Übrigen auch Putin, als Putsch der US-Regierung. Putin nennt es immer einen Staatsstreich mit Unterstützung der US-Regierung und entwertet, und das ist etwas, was mir besonders, was ich als besonders problematisch empfinde, und entwertet damit die Kritik und all den Protest derjenigen, die 2014 den Mut hatten, auf die Straße zu gehen. Die russischen Medien verunglimpfen die Demonstrierenden des Euro Maidan noch auf eine weitere, auf eine andere Weise.
Wie die britische Slawistin Jade McGlynn in ihrer Untersuchung der Berichterstattung von sieben russischen Nachrichtenquellen über den Ukrainekrieg oder seit 2014 gezeigt hat, haben russische Medien Narrative bedient, die die Kritik an der prorussischen Regierung stets als faschistisch rahmt.
Sie kennen dieses Narrativ inzwischen, oder? Während es das russische politische Regime war, das immer faschistischer agierte. Die Protestierenden auf dem Maidan wurden konsequent als Banderowze bezeichnet, also als Anhänger der Nationalisten und des NS Kollaborateurs Bandera. Der Widerstand gegen die russischen Besatzer und die prorussischen Separatisten wurde stets damals schon mit den Gräueltaten der Nazis während des Zweiten Weltkriegs in Verbindung gebracht. Auf diese Weise, darauf wollte ich sie aufmerksam machen, werden nicht nur Begriffe und Konzepte ins Gegenteil verkehrt, enteignet und angeeignet, sondern auch die Idee, und das scheint mir sehr wesentlich zu sein für all diejenigen mit denen, über die wir heute sprechen, also auch Verschwörungstheoretikerinnen und Verschwörungstheoretiker, sondern eben auch die Idee von Kritik und Widerstand auf den Kopf gestellt, also in ein Gegenteil verkehrt.
Vielen Dank, Silvia Sasse. Und auch bei ihnen ist natürlich sofort auch die Umkehrung von Opfern und Tätern erwähnt worden oder dass eben die Täter dann seltsamerweise und sehr klug konstruiert dann in den jeweiligen Diskursen dann zu Opfern gemacht werden.
Wir kommen zu ihnen, Benjamin Schenk. Benjamin Schenk, Sie sind Professor für osteuropäische Geschichte hier an der Universität Basel. Sie leiten das Programm Ukrainian Research in Switzerland, das bereits genannte Uris. Uris engagiert sich seit 2015 für ein besseres Verständnis der Geschichte, Politik und der Gesellschaft und der Kultur der Ukraine in der Schweiz. Und Sie haben sich selbstverständlich jetzt ganz intensiv in den letzten Monaten mit diesem Krieg in der Ukraine beschäftigt.
Benjamin Schenk: Vielen Dank auch von meiner Seite. Ich freue mich sehr, dass so viele Personen unserer Einladung gefolgt sind. Einiges von dem, was ich sagen wollte, ist quasi schon angetönt in den Statements von Nicola Gess und Silvia Sasse. Ich möchte gerne drei Punkte hervorheben, auch Bezug nehmend eben auf den Anlass des heutigen Abends, also auf die Vorträge, mit denen Daniele Ganser momentan in der Schweiz, aber auch in Deutschland und in Österreich unterwegs ist.
Zum einen geht es, Nicolas Gess hat es Mimikry genannt, Mimikry des wissenschaftlichen Diskurses. Was ja auffällt, ist, dass z. B. Daniele Ganser als Experte auftritt, als Dr. Daniele Ganser. Er legt da großen Wert darauf, dass er Wissenschaftler ist und sich zu einem, also quasi auf wissenschaftlicher Basis angeblich zu diesem Thema äußert. Und ich glaube, das sollten wir uns als Personen, die wir uns schon seit mehreren Jahrzehnten mit Osteuropa beschäftigen, uns auch erlaubt sein, zu kritisieren, dass er selber eigentlich eine Expertise für sich in Anspruch nimmt, die keine ist. Er hat sich nie wissenschaftlich mit der Ukraine oder mit Russland beschäftigt, er kann keine einschlägige Sprache, er hat keine wissenschaftlichen Publikationen vorgelegt. Und das gilt übrigens nicht nur für ihn,sondern das gilt auch für viele andere, die sich aktuell als Expertinnen und Experten zu diesem Thema inszenieren, faszinieren, ein großes Publikum ansprechen, aber tatsächlich zu dem Thema, über das sie sprechen, keine wissenschaftliche Expertise in Anschlag bringen können.
Warum das so ist, warum trotzdem die Expertise anerkannt wird, ist ein Phänomen, über das ich auch gerne heute mit quasi meinen geschätzten Kolleginnen diskutieren möchte. Aber was wir hier erleben, ist nicht nur quasi eine Inanspruchnahme eines Experten oder Expertenstatus für sich, sondern damit gleichzeitig auch nicht nur eine Delegitimierung von Medien, Silvia Sasse hat darauf hingewiesen, sondern auch eine Legitimierung von tatsächlich quellenbasierter Wissenschaft.
Und das erlebe ich auch in Reaktionen, die ich bekomme, quasi auf meine öffentlichen Stellungnahmen, dass man sagt, ja, du meinst jetzt das, aber ich höre in den Medien auch etwas anderes und die Wahrheit liegt doch eventuell möglicherweise daran dazwischen. Das ist dieses False-Balance-Problem, dass wir es hier oftmals eben nicht mit zwei unterschiedlichen Meinungen zu tun haben, sondern dass es auf der einen Seite eine quasi quellenbasierte Wissenschaft gibt, die bestimmte Thesen auch untermauern kann, und da auf der anderen Seite die Behauptung nein, es stimmt nicht, es ist alles genau das Gegenteil richtig.
Aber es ist eben, deswegen ist es oft auch das Problem, wenn man diese beiden Positionen zusammenbringt, dass es eben, dass die Wahrheit dann nicht unbedingt in der Mitte liegt, sondern dass man eben bestimmte Fakten auch als Fakten beschreiben kann und man nicht glauben kann, dass es eben verschiedene Meinungen sind, sondern dass es eine vielleicht eine Behauptung ist und das andere vielleicht eine wissenschaftlich fundierte Erkenntnis.
Das ist quasi das eine, was ich sagen wollte. Das zweite, das knüpft an das, was Silvia Sasse gesagt hat mit Blick auf das Engagement der Menschen in der Ukraine und ihren Kampf auch um Freiheit und auch um meinen demokratischen politischen Weg, für den insbesondere der Euro-Maidan von 2013 und 2014 steht. In der Ukraine gilt diese Volkserhebung gegen das korrupte Regime von Präsident Janukowitsch als die Revolution der Würde. Und jetzt Personen wie Daniele Ganser beschreiben genau diesen Kampf für Demokratie, gegen Korruption, der dort über Monate im Winter gekämpft wurde von Tausenden von Menschen aus der gesamten Ukraine. Daniele Ganser beschreibt das als einen von den USA, von Amerika orchestrierten Putsch. Und diese Formulierung ist ein Schlag ins Gesicht jener Menschen, die dort ihr Leben riskiert haben, um für die Freiheit ihres Landes zu kämpfen. Und Menschen, die diese, also die die Ukrainerinnen und Ukrainer, die hier für die Freiheit gekämpft haben, zu Marionetten der US-Amerikaner degradieren, offenbaren einen kolonialen Blick auf die Menschen in der Ukraine, die keine eigene Handlungsmaßnahme zuerkannt wird. Und das finde ich empörend, insbesondere als Mensch, der eng z. B. auch mit Osteuropa auch persönlich verbunden ist.
Der dritte Punkt, den Silvia Sasse auch schon bereits erwähnt hat, wird an dem Punkt politisch problematisch, wenn Narrative der russischen Kremlpropaganda hier an ein großes Publikum vermittelt werden. Dieser Krieg, und das sollte uns, glaube ich, immer, immer wieder Bewusstsein wird geführt als ein hybrider Krieg. Der findet nicht nur statt in Charkiw, in der Ostukraine, in Odessa, in Butscha und den Orten, die wir alle aus den Medien kennen, sondern der findet auch hier statt. Er findet hier bei uns statt, nur in einer ganz, ganz anderen Form, und zwar in einem Krieg um Medien, also auch um Deutungshoheit in den Medien. Dies sollte uns, glaube ich, allen Bewusstsein und das heißt, sich einfach irgendwie im Sinne des Kreml zu diesen Ereignissen in der Ukraine zu äußern, ist keine unschuldige Meinungsäußerung, sondern ist eine Parteinahme für den Aggressor und ist ein Schlag ins Gesicht für die Menschen, die sich quasi verteidigen gegen diesen Angriffskrieg. Und deswegen, glaube ich, ist es wichtig, auch die politische Dimension dessen im Bewusstsein zu haben, über was wir heute Abend sprechen. Vielen Dank.
Dnd damit leite ich von ihnen gleich nahtlos über zu den Medien, nämlich zu ihnen, zu Sebastian Ramspeck. Sebastian Ramspeck, sie sind hier auf dem Podium als Vertreter gewissermaßen der Medien, aber natürlich insbesondere in eigener Person auch. Sie haben internationale Beziehungen in Genf und Europarecht in Zürich studiert. Sie sind Absolvent der Henry-Nannen-Journalistenschule in Hamburg. Sie waren EU und NATO Korrespondent des Schweizer Fernsehens SRF in Brüssel und arbeiten seit ein paar Jahren, wenn ich richtig informiert bin, in Zürich als Moderator des Auslandsmagazins SRFglobal, dass Sie sicher alle kennen, und sind auch als internationaler Korrespondenz unterwegs, zuständig unter anderem für die Berichterstattung über die UNO und die NATO. Ich kann mir jetzt gut vorstellen, Sebastian Ramspeck, dass auch Sie diese Auftritte von Daniele Ganser aus der Mediensicht immer ganz intensiv verfolgt haben.
Sebastian Ramspeck: Velen Dank für die nette Einführung und für die Einladung. Schön, dass ich hier sein darf als einziger nicht Professor Professorin hier auf der Bühne.
Ich wurde angefragt, ob ich hier teilnehmen möchte und habe mir dann das kurz überlegt und dachte, ich finde es wichtig, dass Journalisten sich auch diesen kritischen Diskussionen stellen. Eeine der Thesen von Daniele Ganser ist ja, dass man eigentlich allen Medien nicht mehr trauen kann, mit ein paar wenigen Ausnahmen. Auf seiner Webseite führt er auch ein paar sogenannte alternative Webseiten auf, die er findet, da könne man sich noch informieren. Alle etablierten Medien, da gehört aus seiner Sicht natürlich SRF dazu und die NZZ und alle anderen, die sind für ihn nicht mehr vertrauenswürdig. Ich finde, als Journalist sollte man sich dieser Debatte über das Misstrauen auch gegenüber den Medien stellen. Das ist der Grund, warum ich hier bin. Ich kann für meine eigene Person und ich spreche sprechen und ich spreche auch gerne für meine Zunft. Aber ich kann jetzt natürlich nicht mein Unternehmen oder alles, was jetzt vielleicht Kollegen und Kolleginnen von mir den ganzen Tag publizieren, im Einzelnen immer kommentieren.
Ich finde das wirklich faszinierend, die Publizität, die Daniele Ganser seit Jahren schon hat. Und das hat sich jetzt mit dem Ukrainekrieg nochmals zugespitzt, wenn ich das so sagen darf. Ich verfolge es schon länger, weil ich finde, es gehört auch zu meinem Job als Journalist, dass ich nicht nur andere etablierte Medien konsumiere, sondern ich schaue immer ein bisschen auch, was andere publizieren. Also ich konsultiere auch ab und zu RT und so weiter. Ich finde, das gehört ein bisschen dazu, dass man ein bisschen weiß, wie die Argumentation läuft. Ich finde bei Daniele Ganser sehr faszinierend, wie viel Aufsehen erregt, wo doch eigentlich sehr vieles von dem, was er erzählt in seinen Youtube-Videos, die man ja nachschauen kann, extrem banal ist. Ich möchte hier aber auch ein bisschen dafür plädieren, dass man ihn nicht größer macht, als er ist. Denn es gibt z. B. so einen Standardvortrag von ihm über Propaganda und Medien. Und das sind eigentlich nur Allgemeinplätze, die aneinander reiht. Da ist auch nichts Originelles oder irgendein eigener Gedanke, sondern erzählt dann irgendwie von wie viele Hirnzellen man hat und dass jeder Haribo macht kinderfroh kennt als Spruch. Das sei die Begründung dafür, dass Werbung funktioniert. Und genauso funktioniert auch die NATO-Propaganda in der Ukraine und so weiter. Wenn man sich ein bisschen zurücklehnt, denkt man, was hat er eigentlich jetzt erzählt, was irgendwie originell ist? Also das finde ich noch vielleicht ein wichtiger Punkt.
Noch ein zweiter letzter Punkt, den ich noch machen möchte. Er unterstellt ja unter anderem dem Westen auch immer wieder, dass es ums Geschäft geht, also beim Kriegemachen und so weiter. Und dass es natürlich den Medien auch um den Profit geht. Ich denke, man darf wahrscheinlich Daniele Ganser, den ich übrigens kontaktiert habe vor diesem Podium, aber er hat darauf nicht geantwortet, man darf ihm wahrscheinlich unterstellen, dass es ihm auch ums Geld geht, denn man kann sich ungefähr ausrechnen, also man kann so versuchen auszurechnen, was der Mann verdient mit seinen bis zu acht Vorträgen pro Monat, die wahrscheinlich 50 bis 100 000 Franken einspielen teilweise, da gibt es so Schätzungen. Dann hat er Online-Seminare, die er verkauft, er hat Bücher verkauft. Ich hätte ihn gerne selber gefragt, was er verdient, aber ich glaube, wenn man sagt, der Mann verdient sicher deutlich über 1 Million pro Jahr, ist man wahrscheinlich nicht ganz falsch. Wahrscheinlich ist es noch mehr. Dies ist doch ein respektables Ergebnis, dass er da einfährt für das, was er erzählt, was eben zu einem großen Teil jetzt neben dem, was hier kritisch angemerkt wurde, eigentlich recht banal ist. Als ich Sie heute Abend so hineinströmen, habe ich mir überlegt, hätten wir die Universität teilweise schon ein bisschen sanieren können, wenn wir heute Abend Eintritt verlangt hätten.
Damit komme ich zu unserem letzten Input hier zu Olivier Nachtwey. Olivier Nachtwey, Sie sind Professor für Sozialstrukturanalyse am Fachbereich Soziologie der Universität Basel. Sie haben an der Universität Hamburg Volkswirtschaftslehre studiert und wurden 2008 an der Universität Göttingen mit einer Arbeit in politischer Soziologie promoviert. Und sie forschen zum Wandel der Arbeit, zu gesellschaftlicher Modernisierung und sozialen Konflikten. Und sie haben sich in ihrer letzten Publikation mit dem Titel gekränkte Freiheit, das sie mit Carolin Amlinger geschrieben haben, mit den Verschwörungstheorien rund um Corona auseinanderauseinandergesetzt. Hier wir gewissermassen die Brücke von Daniele Ganser und seinem Verschwörungsumfeld, zu dem natürlich noch ganz viele andere Persönlichkeiten gehören und Personen zu diesem Themenkomplex Corona.
Oiver Nachtwey: Ganz herzlichen Dank für die Einladung hier. Und ich habe noch mal im Buch nachgeschaut, Daniele Ganser war da schon drin in einem Zitat von einer Person, die dann gesagt hat, Daniele Ganser hat mein Leben verändert. Der hat grundsätzlich verändert, wie ich denke, wie ich auf die Welt schaue. Ich bringe jetzt etwas die Kontroverse herein, würde ich sagen. Es mag banal sein, was Daniele Ganser sagt, das ist aber hochernst zu nehmen, weil ich freue mich sehr, dass wir so viele hier sind heute Abend, aber der macht die Bude voll. Und zwar zweimal am Abend hintereinander im Stadtcasino Dortmunder Westfalenhalle. Da kommen also wirklich viele Leute hin. Mit dieser Tatsache möchte ich versuchen, in den nächsten vier Minuten zwei, drei Punkte hinzugeben.
Als erstes wäre zu sagen, ja, der stellt die Medien infrage. Wir dürfen uns aber sowohl von der Wissenschaft als auch von den Medien nicht allzu sicher sein, dass die Wahrheit immer auf unsere Seite ist. Ich kann mich sehr gut daran erinnern und wenn ich so in das Publikum schaue, bei ihrem Alter, sie alle auch 2003, als die USA in den Irak einmarschiert sind, da hat ein gewisser Colin Powell vor der UNO gesagt: "Hier habe ich die Beweise für die Massenvernichtungswaffen von Saddam Hussein." Es wurde dann auch etwa von der New York Times und der Süddeutschen Zeitung, also allen Leitmedien, so übernommen.
Worauf ich hinaus will, ist nicht, dass der Ganser damit recht hat, sondern dass es in den westlichen liberalen Gesellschaften auch manchmal Probleme mit der Wahrheitspolitik gibt. Und dass Daniele Ganser eine gewisse Entfremdung der Bürgerinnen und Bürger von den Medien und der Politik annimmt. Wenn man z. B. aus Deutschland kommt wie ich, da gab es jetzt 25 Jahre lang die Erzählung der Austerität, übersetzt heißt es, es ist nicht genug Geld da, meistens für Soziales.
Als dann aber 2008 dann die Bankenkrise war, dann war über Nacht relativ viel Geld da. Das hat sich dann noch mal wiederholt bei der Flüchtlingskrise und bei der Corona Krise. Worauf ich nur hinaus will, ist, es gibt diese Entfremdung, weil auch sehr viele politische Sachzwänge, was wissenschaftlich begründet ist, auch politisch konstruiert wird. Diese Selbstkritik, die fehlt ein bisschen in liberalen Gesellschaften. Daniele Ganser ist wirklich ein Meister da drin, was Nicola Gess gesagt hat, an diesen Teil dieser Realität, an den Problematiken der Gesellschaft anzuknüpfen. Und da einen Dreh hineinzubringen.
Ich nenne ihn deshalb einmal einen Generalverdachtsunternehmer. Er ist ein Meister da drin, Menschen, die eine Entfremdung von der liberalen Demokratie verspüren, über eine bestimmte Verkettung von Andeutungen, Auslassungen dazu zu bringen, dass die Leute denken, ja, ich erkenne hier eine Problematik, die man auch kritisieren könnte und wo wir auch demokratisch und vernünftig miteinander darüber diskutieren könnten. Bei Ganser bleibt am Ende immer folgendes zurück: Da steckt doch mehr dahinter. Und er sagt das gar nicht so selbst, sondern er überlässt das dem Publikum. Da gibt es eine paradoxe Emanzipationserfahrung, denn er vertritt gar nicht diese Verschwörungsthemen, diese Theorien im eigentlichen Sinne, sondern er lässt die Menschen über seine Verkettungen und Andeutungen und Auslassungen selbst zum Schluss der Verschwörung kommen. Das ist der eine Punkt. Dies macht ihn so gefährlich, weil er dadurch eben diese Anziehungskraft mit der durchaus verbreiteten Unzufriedenheit oder Entfremdung mit der Demokratie, Punkt eins.
Punkt zwei, ganz schnell. Er kommt ja von der Uni Basel im Bereich der Geschichte der Soziologie und wurde hier wegen fehlender wissenschaftlicher Standards dann auch nicht habilitiert. Aber er hat daraus wirklich ein tolles Geschäftsmodell gemacht, auf das viele Intellektuelle jetzt auch kommen. Er ist im Grunde der Häretiker. Er ist derjenige, der verstoßen wurde, weil er die Wahrheit sagt. Mit diesem Geschäftsmodell des Häretikers oder der antiken Paräsia ist auch dieses Modell, ich sage die Wahrheit bei meinem persönlichen Risiko. Dadurch kann er sich eben aufstellen als eben eine, als die zentrale Figur eines Gegenwissens, einer Gegengemeinschaft. Und deshalb war er dann eben nicht nur bei 9/11 bei CIA, beim Ukraine- Krieg, sondern auch bei Corona immer die Figur, auf das sich alles zentralisiert. Dies ehen wir in unseren Daten sehr, sehr gut, immer wenn es um diesen Generalverdacht geht.
Daniele Ganser steht mitten im Zentrum. Da sind wir mit dem letzten Votum schon mitten in den Themen unserer Diskussion hier, die drei Teile aufweisen wird. Wir werden gerade dabei anknüpfen. Ich möchte nochmals fragen: Was sind jetzt eigentlich die Grundelemente dieses Narrativs, dieser Erzählungen eines Verschwörungstheoretikers? Es gibt auch Verschwörungstheoretikerinnen. Was sind eigentlich die Strukturen? Wir werden nachher auch, Sie haben es angesprochen, Olivia Nachtwey fragen, was ist denn eigentlich das Bedürfnis des Publikums, das sich diese Verschwörungstheorien aneignet und zu eigen macht und sich ein Stück weit auch erlöst fühlt durch diese Verschwörungstheorien. Und im dritten Punkt, wir sind hier an einer Universität, geht es darum zu fragen, was wären denn die Gegenstrategien, die wir entwickeln können, um solche Narrativen, ich brauche jetzt ein großes Wort, vielleicht eine etwas aufklärerischere und natürlich auch komplexere Weltsicht entgegenzusetzen.
Oliver Nachtwey, Sie haben gesagt, Daniele Ganser sei eine Art Zauberer, der irgendwie zwischen verschiedenen Elementen hin und her jongliert und am Ende dann so in einem Raum der Halbwahrheiten und der Insinuationen so etwas Suggestives hat. Ein Element ist ja, dass er immer sagt: „Man wird ja mal fragen dürfen, oder?“ Nun frage ich in die Runde, was ist das für ein Motiv, wenn ich jetzt sage, man wird ja mal fragen dürfen, ob jetzt nicht am Ende doch die NATO schuld ist an diesem Krieg? Silvia Sasse na ja, also die NATO ist ja bei ihm immer schuld, praktisch durchgehend, oder? Es gibt ja so ein paar Sachen, die wechseln ab, es gibt Themen, die sich verändern, aber im Grunde steht immer die CIA, die NATO, die USA dahinter. Also eigentlich ist das Ganze eine permanent an die USA gerichtete Kritik, für die gewisse Gegenstände eigentlich auch missbraucht werden. Dies findet man nicht nur bei Daniele Ganser, sondern bei ganz vielen, oder die auch in unserer Gesellschaft kritisch sein wollen und gar nicht merken, dass das, was sie kritisieren, woanders, wo sie sympathisieren, mit Füßen getreten wird, oder?
Silvia Sasse: Das ist also eine ganz merkwürdige, wie soll ich sagen, noch aus dem Kalten Krieg stammende Denkweise, dass man irgendwie glaubt, dass jetzt bezogen auf Russland und die Ukraine, dass, wenn man die USA kritisiert, müsse man für Russland sein, so als ob es dazwischen nichts gäbe. Das hat sich ja zum Teil nicht verändert aus dem Kalten Krieg. Aber was ich interessant finde, ist eben diese Frage, dass er sich als, ja, als derjenige, der etwas für die Wahrheit riskiert, oder es ist ja dieses Risiko inszeniert und gleichzeitig den Leuten, die tatsächlich etwas riskieren, auf die Straße gehen, in totalitären Systemen, in Diktaturen abspricht, dass sie das tun, weil er sie gewissermaßen, Benjamin Schenk hatte das auch noch mal bestätigt, als Leute darstellt, die bezahlt werden dafür, ja, oder die von der CIA dazu animiert werden. Und das ist ja ein ganz altes, auch aus dem Kalten Krieg schon stammendes Geheimdienst-Narrativ, was ja immer dann auf kommt, wenn in Autokratien jemand auf die Straße geht. In Belarus wurde das gesagt, bei den Widerständen, aber auch schon in der Zeit des Kalten Krieges. Das heißt, das, was er da erzählt, das glaubt er sich auch zusammen und er bedient sich sehr stark damit. Das ist das, was uns, glaube ich, die, die wir Slawistik oder Osteuropa Studien studieren, so auffällt, dass er sich sehr stark bei der russischen Propaganda bzw. deren Kumpanen bedient.
Das sind ja immer ähnliche Strukturen, Nicola, die ja auch gelesen und analysiert werden können.
Nicola Gess: Ja, okay. Wenn ich darf, noch ganz kurz, bevor ich auf diese Frage eingehe, in Ergänzung auf die Frage nach dem Zweifel, weil das finde ich, ist ganz ein ganz wichtiger Punkt tatsächlich, wenn Daniele Ganser oder auch andere sagen, man wird das ja mal fragen dürfen. Also es ist eine ganz wichtige Geste, ja in all seinen Vorträgen. Und das suggeriert natürlich, ich bin derjenige, der Fragen stellt, der zweifelt. Ich bin der Skeptiker und alle anderen sagen ja immer nur was, was die offizielle Meinung ist.
Ich glaube, es ist aber ganz entscheidend zu sehen, dass das eine Geste ist, hinter der letztlich, aber du hast es schon gesagt, die NATO ist ja immer schuld, eigentlich der Westen steht, diese eigene Grundüberzeugung ins Wanken geraten zu lassen. Eigentlich ist es sozusagen, steckt sozusagen hinter der Geste des Zweifels bei ihm ja der Wunsch, diese Grundüberzeugung und z. B. auch den Anti-Amerikanismus nicht infrage stellen zu müssen, sondern an dieser Welterklärung festhalten zu können. Dann müssen eben sozusagen alle Situationen, die sich ergeben, so interpretiert werden, dass daran festgehalten werden kann. Und insofern kann man geradezu sagen, er ist in dieser Hinsicht natürlich eigentlich das Gegenteil eines Skeptikers.
Das ist das eine. Und das andere ist natürlich auch die Suggestion. Mit dieser Geste ist es ja nicht getan, denn gleichzeitig liefern die Vorträge natürlich in einer Tour, liefern Material, das sehr selektiv entsprechend zusammengestellt ist, mit dem er seinem Publikum schon natürlich eine Antwort sehr nahelegt. Er fragt also nicht nur, sondern die Antwort wird quasi mitgeliefert. Und seine Anhängerinnen und Anhänger, die zeichnen sich dann natürlichauch dadurch aus. Das ist ja auch interessant bei vielen auch verschwörungstheoretischen Gemeinschaften, dass sie mit der Geste des Skeptizismus aber wiederum verbinden schon fast eine Art Hörigkeit gegenüber dieser einen zentralen Figur, also diesem sozusagen Guru der Verschwörungstheorie, ob es jetzt Ganser ist oder jemand anders. Es gibt ja in fast allen verschwörungstheoretischen Gemeinschaften solche Figuren, denen man folgt und deren Position man eigentlich ungefragt übernimmt. Auch das ist natürlich etwas, was sozusagen dieser Haltung des Skeptizismus, die da immer so suggeriert wird, ganz klar widerspricht.
Würden Sie denn sagen, vielleicht auch die Frage hier an Oliver Nachtwey und auch zu auch zu Ihnen, Sebastian Ramschbeck, dass in diesen Erzählungen, also in diesem wiederholenden Muster auch so etwas wie eine Struktur drinsteckt, dass alles eigentlich immer auf eines zurückzuführen ist? Also am Ende, bei allen Suggestionen und so weiter, am Ende bleibt immer dieser eine Gedanke zurück, es waren die USA. Dieses Rückführen auf das eine ist das ein Strukturelement dieser Verschwörungstheorien?
Oliver Nachtwey: Bei Daniele Ganser ist das schon definitiv der Fall und das hat auch was damit zu tun, Silvia Sasse hat es gerade gesagt, das ist die Logik des Kalten Krieges. Und wenn man sich das anschaut, die klassische Friedensbewegung. ch muss da auch zu sagen, ich war auch selbst schon auf einigen Ostermärschen, hatte natürlich ein Motiv dann darin, dass man die Sowjetunion, die damalige, noch viel stärker als Freund in der Friedensbewegung gesehen hat und vor allen Dingen die Aufrüstung der NATO thematisiert hat. Man hat dabei dann aber z. B als der Warschauer Pakt 1968 in Prag eingefallen ist, den Krieg in Afghanistan, das wurde dann mal deutlich weniger problematisiert. Die Sowjetunion war eben wegen der russischen Revolution und der Blockkonflikation der Freund und das zieht sich ganz klar bei Ganser auch schon in seinen frühen Arbeiten durch. Ich habe da persönlich ein leichtes Unwohlsein, wenn wir immer sagen, nur weil Ganser die USA problematisiert, was ich völlig falsch finde. Ich habe selbst auch eine sehr klare Haltung zum Ukrainekrieg und ich finde diese Empathielosigkeit fürchterlich. Und was Benjamin noch hervorgehoben hat, gerade beim beim Maidan, ist e wirklich eine unglaubliche Erniedrigung, die da auch stattfindet von den Menschen, die dort auch ihr Leben gelassen haben und auch eine Respektlosigkeit gegenüber demokratischen Aufständen, obwohl es vielleicht keine linke Revolution war.
Jetzt kommt aber das Aber. Das Aber ist, was manchmal auch ein bisschen vergessen wird und das ist das, was mich umtreibt. Warum funktioniert der Ganser so gut? Ich kann das besser für den deutschen Kontext, aber auch ein bisschen für den Schweizer sagen, ist, dass man häufig sagt, dieser Krieg wurde von Putin begonnen, das ist ein subimperialistischer Krieg, der eben eine Nation und eine Nation unterwerfen will.
Aber gleichwohl könnte man Ganser ja auch ein bisschen die Dynamik herausnehmen, wenn man noch mal thematisiert, wie war es denn eigentlich die letzten 20 Jahre in der Geopolitik mit der Blockkonfrontation? Was war denn da die Rolle? Und die Strategie der NATO und seines Umfelds, das man nicht selbstkritisch bearbeitet, überlässt man dann ihm. Ich finde es wichtig, zu überwähnen, dass Ganser in eine Lücke stößt, die diskursiv ein bisschen offen ist.
Was sagen Sie, Benjamin Schenk, auf diesen Vorwurf? Das ist jetzt eigentlich kein Vorwurf, aber doch ein Hinweis darauf, dass hier eine Lücke besteht, eine Art Vakuum, in das eben einer wie Daniele Ganser, und wir müssen auch sagen, andere, ich nenne hier Ken Jebsen, ich nenne hier andere, hineinspringen.
Benjamin Schenk: Ja, also ich weiß nicht, ob ich da so quasi so mitgehen kann, dass das nicht so ist. Ich glaube, es werden auch bestimmte, gerade was die NATO-Osterweiterung angeht, bestimmte Narrative entwickelt, die tatsächlich nicht der Wirklichkeit entsprechen und auch nicht der übrigens auch bis vor kurzem nicht der russischen zur NATO-Osterweiterung, die bis 2004 überhaupt gar keine Mühe hatte mit dem Prozess, mit der quasi damit, dass ostmitteleuropäische Staaten die Mitgliedschaft in diesem Militärbündnis gesucht haben und sie dann aufgenommen wurden von dieser Allianz und Russland nicht nur die NATO Russland Grundakte unterschrieben hat, wo genau diese Freiheit eingeräumt wurde, sondern auch, nach z. B. der NATO-Osterweiterung 2004 sich öffentlich auch Medwedjew und Putin öffentlich geäußert haben und gesagt haben, sie haben damit überhaupt kein Problem. Das heißt, wenn heute z. B. ein anderes Narrativ bedient wird, dann weckt es Zweifel daran, dass es tatsächlich der Grund ist, um das russische Vorgehen gegen die Ukraine zu verstehen.
Aber noch mal zur Frage zurück, man wird ja noch mal fragen, das sagen dürfen, was ja das Interessante ist, finde ich jetzt bei ganz anderen, Ulrike Gero könnte man ins Spiel bringen oder Gabriele Krone Schmalz, also drei Personen, die sich gerade in diesem Themenfeld als Quellen von alternativen Ansichten, Wahrheiten präsentieren, ist ja, dass bestimmte Fragen eben nicht gestellt werden. Und z. B. Fragen nach der innenpolitischen Entwicklung in Russland seit 2000 oder nach der innenpolitischen Entwicklung in Russland seit 2011, weil man stellt diese Fragen nicht, weil das entsprechende Publikum mit diesen Fragen überhaupt nichts anfangen könnte.
Benjamin Schenk: Es hat ja sehr viel auch mit unserem wirklich schreienden Desinteresse zu tun, an den innenpolitischen Entwicklungen in Osteuropa, an den innenpolitischen Entwicklungen in Russland. Wir wir heute z. B. als, ich weiß nicht, ob du mir recht gibst, Silvia, als Menschen, die sich seit dreissig Jahren intensiv mit diesen Ländern beschäftigen und wenn wir darauf hinweisen, sagen, lasst uns doch mal die innenpolitischen Entwicklungen in Russland seit 2000 anschauen, seit Putin an der Macht ist, ist, weil hier finden wir möglicherweise den Schlüssel für das, was uns seit 2014 in Europa so große Sorgen macht. Damit können wir aber kein Publikum erreichen, weil wir können ein Publikum erreichen mit Narrativen, es sind die Amerikaner, weil wir natürlich eine Öffentlichkeit haben, die sensibilisiert ist durch den Krieg in Jugoslawien, die Bombardierung Serbiens 1999 durch die NATO ohne UNO Mandat. Wir sind sensibilisiert durch den Streit über die Intervention in Libyen, durch die Intervention im Irak.
All das hat die westliche Öffentlichkeit massiv beschäftigt, vorbereitet. Und wenn man jetzt sagt, aber man wird doch noch mal fragen können, ob möglicherweise das, was heute in der Ukraine passiert, nicht passt in diese Kette von quasi von Beispielen des amerikanischen Imperialismus, dann kann man hier eine Öffentlichkeit abholen, weil die mit diesen Themen etwas anfangen können.
Wenn ich sage, aber schaut euch doch mal die politischen Proteste auf der Bolotnaja Ploschet in Moskau 2011 an, damit kann niemand etwas anfangen, weil keine westliche Öffentlichkeit sich mit den Massenprotesten in Moskau 2011 nach den gefälschten Wahlen beschäftigt hat, weil es hier niemanden interessiert. Ich glaube, dieses Desinteresse ein Stück weit komplex ist oder einfach.
Ich habe noch eine Frage an Sebastian Ramspeck. Der Umgang mit den Fakten, dass einer wie Daniele Ganser eben für sich in Anspruch nehmen kann, ich hier gehe eben anders um mit den Fakten. Wie gehen Sie als Journalist mit solchen Vorwürfen um, dass eben hier einer gewissermaßen die wirklichen Fakten benennt und alle anderen eben nicht?
Sebastian Ramspeck: Darf ich vielleicht kurz noch anschließen an das, was vor diesem ungeplanten Zwischenfall gesagt wurde über den Antiamerikanismus? Was ich schon festgestellt habe, als ich Korrespondent in Brüssel war und auch über die NATO berichtet habe, dass es eigentlich kaum ein Thema gibt, damals schon, das mehr Emotion geweckt hat. Ich dachte immer, die EU ist unbeliebt, aber am meisten böse E-Mails habe ich immer bekommen, wenn ich irgendwie von einem NATO Treffen berichtet habe. Bei diesem Thema spaltet sich wirklich auch, glaube ich, das Publikum oder die Zuschauerinnen und Zuschauer so in zwei Gruppen. Es gibt Leute, die das tendenziell mal positiv sehen, und dann gibt es die, die wirklich eben auch so ein bisschen diese Skepsis teilen und die das Gefühl haben, hinter allem Bösen auf der Welt stehen immer die Amerikaner.
Und ich glaube, es ist wichtig für uns, und das schließt jetzt vielleicht auch direkt an Ihre Frage an, dass man als Journalisten natürlich einfach kritisch ist gegenüber allen Seiten und dass man, und ich versuche das auch in meiner Arbeit natürlich auch zu benennen, was Amerika alles falsch gemacht hat, aber das nicht vermischt mit irgendwelchen komischen Erklärungen, was jetzt in der Ukraine gerade passiert. Ich glaube, das ist ja ein bisschen der Punkt.
Der zweite Punkt ist, glaube ich auch, dass wichtig ist für das Verständnis der Welt, dass man immer die Innenpolitik sehr stark im Blick hat. Es ist auch etwas, was natürlich jemand wie Ganser immer ausblendet. Es gibt einfach die USA und es gibt Russland und es gibt die Medien und das ist ja immer alles sehr kompliziert. Wenn man z.B. die NATO-Osterweiterung anschaut, die war ja lange umstritten in den USA und es war ja auch nicht so, dass die Kräfte, die eigentlich dazu geführt haben, dass dann am Schluss ost- und mitteleuropäische Staaten in die NATO aufgenommen wurden, das waren ja Lobbygruppen dieser Staaten, auch dieser Communities dieser Staaten in den USA, die unbedingt aus Angst vor einem neuen, vor einer Rückkehr der sowjetischen Gefahr gewissermaßen unbedingt in die NATO wollen. Das wird ja alles ausgeblendet.
Die Aufgabe als Journalist ist letztlich natürlich nicht eine andere als Wissenschaftler, dass wenn man sich mit einem Thema beschäftigt, dass man möglichst viele Informationen sammelt und auch mit Widersprüchen umgeht und am Schluss versucht, so gut wie möglich zu erzählen, was ist. Aber das ist eine immer eine unmögliche Herausforderung und der stellen wir uns aber jetzt. Der Punkt, den Daniele Ganser überschreitet, ist seine Verallgemeinerung. 2003 erzählte Colin Powell, im Irak gäbe es Massenvernichtungswaffen, er generalisiert das.
Ist dies der Punkt, der bei Ihnen in ihrem Beruf als Hemmnis da ist, dass Sie genau diese Generalisierung nicht machen?
Sebastian Ramspeck: Ja gut, ich meine eben, also wir haben, also ich gebe mir jetzt in meiner eigenen Arbeit Mühe, auch eben über solche Dinge wieder zu berichten. Wir haben jetzt gerade kürzlich eine Sendung der USA gemacht, da kam das auch vor. Aber das ist ja auch ein bisschen ein seltsamer Glaube, dass weil jetzt ein Land einmal einen Fehler gemacht hat oder eine Lüge erzählt hat oder sodass sich das jetzt unbedingt fortsetzt.
Er spielt natürlich wirklich mit einem tiefen Antiamerikanismus, den man teilweise sogar vielleicht nachvollziehen kann, aber der eigentlich, so wie er Daniele Ganser dann weiterführt, eigentlich auch ein bisschen ad absurdum geführt wird, weil wirklich einfach die Welt in Gut und Böse aufgeteilt wird und unterschlagen wird, dass ja jeder Staat sehr kompliziert ist und dass da viele Kräfte wirken.
Ich glaube, es ist unsere Pflicht, aber wir kommen vielleicht dann gegen Ende der Diskussion noch darauf, dass man natürlich überall genau kritisch hinschaut. Das tut aber Daniela Ganser nicht, weil er sagt ja immer zuerst, ja, Putin hat schon den Krieg angefangen und der ist auch illegal, aber dann kommt eigentlich immer nur die Schuld der anderen. Es ist eine seltsame Art und Weise, die ich als Journalist nie machen würde, weil man natürlich überall genau hinschaut und natürlich Fehler des Westens benennt, aber in diesem Falle wahrscheinlich schon zuerst einmal die Fehler und die Verbrechen der anderen Seite benennen muss und auch nicht aus einzelnen Ereignissen dann ein System machen. Das ist ganz entscheidend. Ich wollte nur ergänzen, auch zu dem, was Benjamin Schenk gesagt hat, Ganser interessiert sich überhaupt nicht für Russland, er hat überhaupt kein Verständnis, interessiert sich auch nicht für die Ukraine.
Also er gibt einfach Narrative wieder, die in seine Passform passen, oder?
Silvia Sasse: Ich finde das so wichtig, das, was du gesagt hast, die tatsächliche Beschäftigung mit der innenpolitischen Lage in Russland ist etwas, was an den meisten Medien in den letzten Jahren vorbeigegangen ist. Es gibt wenig Wissen darüber, was in Russland die letzten 20 Jahre passiert ist, wie stark seit Jahren die Repression zugenommen hat, ja, also um was für eine Art von, ich weiß nicht, Kapitalismus, mafiösen Kapitalismus es da geht. Man kann, wenn man, wenn man, wenn man, wenn man die USA kritisiert und nicht in der Lage ist, gleichzeitig nach Russland zu schauen und Kritik zu üben, dann stimmt was nicht. Es ist einfach vollkommen unklar. Dann kann man auch nicht die Kritik, die Kritik an den USA, also aus meiner Perspektive ernst nehmen.
Was ich aber noch viel wichtiger finde, ist, das Desinteresse oder bzw. auch die geringe Berichterstattung über die Interessen der ost- mitteleuropäischen Länder, was gerne heutzutage West Planning genannt wird, also polnische Intellektuelle, auch Intellektuelle aus der Ukraine sagen, es kann doch nicht sein, dass er über uns sprecht, ohne mit uns zu sprechen, weil er überhaupt nicht schaut, was sind unsere Interessen, welche Angst haben wir vor einer nochmaligen Besatzung durch Russland? Es ist etwas, finde ich, was noch viel schwerer wiegt, diese Ignoranz für die Perspektive der ost- und mitteleuropäischen Länder, die in unmittelbarer Grenze hier zu Russland sind.
Würden Sie denn als Historikerin sagen, das ist antihistorisch und das ist nicht dem entsprechend, was eigentlich ein Historikerin, ein Historiker machen sollte, so wie Daniele Ganser vorgeht, und wie Silvia Sasse gerade gesagt hat?
Benjamin Schenk: Das geht an mich, weil ich glaube, fachlich gesehen hier der einzige bin, der für die Geschichte sprechen kann? Ich weiß gar nicht, ich kann mit diesem Adjektiv anti-historisch jetzt nicht so viel anfangen, antihistorisch, nicht der historischen, den den wissenschaftlichen historischen Vorgehensweisen entsprechend. Ich glaube, das kann man so erst mal konstatieren. Aber was ich fast noch wichtiger finde, ist das, was auch Nicola Gess in ihrem Eingangsstatement gesagt hat, ist diese sehr stark selektive, die sehr stark selektive Fokussierung auf bestimmte Gegenstände, die einbezogen werden in die eigene Argumentation und das Ausblenden. Das ist ja fast noch wichtiger. All das, was eben nicht einbezogen wird in das Narrativ.
Hier würde ich sogar nicht nur sagen, es ist nicht eine wissenschaftliche historische Vorgehensweise, sondern es ist einfach eine unwissenschaftliche Vorgehensweise, weil wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon quasi aufgerufen sind, die Wirklichkeit in ihrer ganzen Komplexität zur Kenntnis zu nehmen und möglicherweise daraus Schlüsse zu ziehen. Ich glaube, das ist ein Vorwurf, den man und das ist das, was ich vorhin versucht habe zu sagen, was man Menschen wie Daniele Ganser, der eben keine Expertise hat zu Russland und zur Ukraine, weil er dazu nie geforscht hat, weil er auch die Sprachen nicht kann, weil er auch gar nicht verstehen kann, was im russischen Staatsfernsehen gesagt wird, auch was im ukrainischen Staatsfernsehen gesagt wird, das kann er gar nicht verstehen. Dann gleichzeitig aber zu meinen, man kann 1500 Menschen in eine in eine Halle einladen, die alle dafür viel Geld bezahlen und denen dann zu erzählen, wie es wirklich gewesen ist. Das ist einfach ja, also was das ist, weiß ich gar nicht, wie wir das auf den Punkt bringen. Ich würde erst erst mal sagen, es ist ein geschicktes Geschäftsmodell.
Was mich wirklich auch interessiert, das wäre auch eine Frage, die ich jetzt vor allem an Olivier hätte, aber auch an Nicola ihr habt euch mit den Milieus beschäftigt, also wer geht dahin, wer ist bereit dafür zu bezahlen, viel Geld zu bezahlen?
Dazu kommen wir gleich, aber ich glaube, jetzt wollte Nicola Gess noch ganz kurz etwas ergänzen.
Nicola Gess: Ich wollte noch ergänzen, ich glaube, wir haben jetzt einen wichtigen Punkt auch zwischenzeitlich immer wieder berührt und zwar die Frage der Erwartungen eines Publikums oder der Bekanntheit auch bestimmter Erklärungsmuster und wir haben z. B. eben über diesen Antiamerikanismus oder Skepsis gegenüber der NATO gesprochen. Es sind sozusagen Erklärungsmuster, die liegen schon bereit, und ich glaube, dass das ist für Ganser aber oder auch für andere ein ganz wichtiges Verfahren sozusagen an schon etablierte Erklärungsmuster oder auch Erzählungen anzuknüpfen, die sozusagen wie so eine Schablone aufzugreifen und dann punktuell vielleicht neue Elemente einzufüllen oder jeweils neue Krisensituationen tauchen auf und dann ist die Schablone da und man kann sie sozusagen wieder nutzen, um die Situation zu erklären. Ich glaube, das ist hier eine ganz wichtige Strategie, um zu verstehen, warum er damit so gut landen kann bei dem Publikum.
Also die wichtigsten Elemente dieses Diskurses haben wir jetzt, glaube ich, herausgearbeitet und die Überleitung ist schon gemacht, nämlich welche Bedürfnisse hier von solchen Diskursen bei den Leuten bedient werden. Was bringt Menschen dazu, solche vereinfachenden, strukturell immer gleichen Diskurse am Ende auch zu glauben und in ihr eigenes Weltbild einzubauen? Olivier Nachtwey, vielleicht können Sie uns da helfen aus der Sicht der Soziologie.
Oliver Nachtwey: Wir leben in unsicheren Zeiten und Nicola Gess hat es schon gesagt, diese Erzählungen, die hier präsentiert werden, die vereinfachen offenbar ganz vieles. Und die Menschen sind bereit, solche Erzählungen heute zu glauben. Ja, in unseren Zeiten liegt ein durchaus nicht unwesentlicher Erklärungsfaktor darin, wenn wir uns den Ablauf und die Dichte von Krisen allein in den letzten 10 Jahren oder den letzten 15 Jahren anschauen, von einer globalen Finanzkrise, einer Flüchtlingskrise, einer Corona Krise in es ist ja fast eher, dass die Krise der Normalzustand ist und die Normalität immer nur die kurze Phase dazwischen ist. Deshalb sind solche Erzählungen, die ein relativ vereinfachendes Narrativ bilden, nicht nur eine Komplexitätsreduktion, sondern auch eben eine Stabilisierung der Weltsicht. Da kann eben dann auf bestimmte Tradierungen, auf antiamerikanischen sehr, sehr gut zurückgegriffen werden.
Aber sie dienen eben nicht nur eine eine Stabilisierung der Weltsicht, sondern sie sind auch etwas, was eben dieses Unbehagen in der Gesellschaft, dieses die teilweise, sag mal, mangelnde Krisenlösungskompetenz, die wir da drin haben, das reicht ja auf ganz vielen Ebenen. Wir haben immer noch eine Situation, wo wir mit dem Klimawandel nicht gut zurechtkommen. Und das wäre jetzt auch so meine Vermutung. Es ist wohl das nächste Thema, was Ganser dann auch angehen wird.
Er hat ja, sage ich mal, die Anti NATO-Narration, es ist eine Kontinuität, während der Corona Pandemie sehr stark gepflegt. Er hat dann in Basel, aber auch in Deutschland an Bahnhöfen plakatieren lassen, wir sind doch eine Menschheitsfamilie. Ich habe mich immer gefragt, was ist dabei das Komisches? Ich habe erst gedacht: Ist das nicht naiv? Gefühlig und so. Dann habe ich mich ein bisschen mehr damit beschäftigt. Die Menschheit als Familie ist ein Begriff aus dem Christentum, der aber vor allem in der Anthroposophie ganz stark betont wurde, dort mit dem Begriff der Menschheitsfamilie. Das war so ein Codewort für Ganser, mit dem er signalisieren konnte, dass uns die Massnahmen alle betreffen und wir sie alle ablehnen sollten. Da hat nur dieses eine Codewort gereicht. Deshalb meine ich, Ganser ist eben dieser Unternehmer des Generalverdachts.
Darauf sprechen verschiedene Milieus an, was wir zumindest bei uns in den Daten sehen konnten. Klassische Industriearbeiterinnen sind z. B. relativ wenig, darunter auch die klassischen Konservativen oder Leute, die jetzt, so sage ich mal, diese Normalitätsvorstellung, ich sage, sag mal jetzt so Reihenhaus, Auto am Wochenende grillen und Bier. Ich habe nichts gegen diese Leute, die so etwas mögen. Ich habe kein Auto, aber grillen und Bier, wie man mir ansieht, ist für mich kein Problem.
Sie sind auch eher nicht diejenigen, die bei Ganser dabei sind. Aber es sind sehr viele Leute, die aus den alten Alternativmilieus kommen, die eine gewisse Neigung zur Esoterik, einer größeren Erzählung haben, skeptisch sind gegenüber der Macht oder Skepsis haben gegenüber, traditionellerweise skeptisch sind gegenüber unserer Politik und Wirtschaft. Und sie werden angesprochen. So weit als Antwort an Sebastian Ramspeck.
Es gibt z. B. dieses Manifest für eine neue Erde, kann jeder nachschauen auf dem Internet. Da wird quasi eine heile Welt propagiert, wo alles besser ist und alle Menschen haben sich lieb und alles ist gut. Es gibt auch keine Lobbying mehr und keine bösen Politiker, sondern es gibt dann Volksvertreter mit weisen Räten. Und Daniele Ganser hat das unterschrieben, das Manifest auf dem Internet. Ganser wird da auch erwähnt als einer der möglichen Weisenräte, die in naher Zukunft, so ist es da geschrieben, dann auch eigentlich die Welt zu einer besseren Welt machen.
Ich glaube, es ist wirklich einfach ein Grundbedürfnis, das vielleicht in der heutigen Zeit ausgeprägt vorhanden ist, aber das wahrscheinlich die Menschheitsgeschichte immer verfolgt wurde. Es gibt einfach Menschen, die irgendwie diese Sehnsucht haben nach solchen Dingen haben. Ich habe in meinem Bekanntenkreis mal jemanden gehabt, der mir gesagt hat, ich möchte jetzt einfach, dass dieser Krieg aufhört und dass diese Probleme aufhören. Ich glaube, Ganser bedient einfach ein ganz, ja, vielleicht auch menschliches und bis zu einem gewissen Grade nachvollziehbares Bedürfnis, das doch all diese schrecklichen Probleme und die Medien, die immer nur über Krieg berichten und immer nur über Schrecken und böse Menschen, dass das einfach alles aufhört. Er bedient dieses Erlösungsbedürfnis, glaube ich, sehr, sehr gut und sehr geschickt. Es fehlt hier die theologische Vertretung auf dem Podium, aber vielleicht wäre das ein wichtiges Stichwort, oder? Erlöst werden von allem Bösen.
Ganser spricht ja auch immer von den Ängstenn, die die Massenmedien schüren und dass man eben diese Ängste wieder loswerden soll? Es ist sehr auffällig, dass diejenigen, also wo ihr Untersuchungen gemacht habt bei den Corona Skeptikerinnen, Leugnerinnen, Massnahmegegnerinnen und so weiter, dass diese sehr rasch nach dem 22. oder 24. Februar 2022 umgeschwenkt sind auf Putin Propaganda. Was gibt es da für einen Zusammenhang? Ich habe mich das immer gefragt.
Oliver Nachtwey: Es wirklich mit diesem Generalverdacht zusammen. Dieser Begriff kommt nicht nicht von mir, kommt von einem französischen Soziologen, Luc Boltanski. Es geht darum, wie gehen wir mit der Realität in unserer Gesellschaft um? (Der Generalverdacht ist ein ohne konkrete Anhaltungpunkte generell gehegter Verdacht). Wenn z. B. bestimmte Dinge in der Politik im Umgang mit der Wahrheit, Redlichkeit nicht funktionieren, entsteht eine Entfremdung, und man kann man in diesen Generalverdacht rutschen.
Und das ist, was wir beobachten konnten, nämlich, dass in unseren Daten die Leute sehr schnell nach der Pandemie auf andere Dinge umgeschwenkt sind. In dem Moment, als die Coronamaßnahmen aufgehört haben, kam, weil es auch zeitlich zusammenfiel, der Ukrainekrieg als neues grosses Thema. Wir konnten beobachten, dass das nicht unbedingt eine Unterwürfigkeit gegenüber Putin selbst war. Diese Leute hatten gar nicht so ein Faible für Putin als einen großen Anführer, aber sie haben gedacht, ch konsumiere jetzt Russia Today, weil da höre ich eine andere Story, die abseits des Mainstream ist. Oder Rubicon, das ist auch so ein Portal, was da sehr viel konsumiert wird, Nachdenkseiten und sagen, es gab dieses Bedürfnis, eine andere Wahrheit, eine andere Erzählung, dieses Dahinterschauen zu bekommen. Daniele Ganser sagt ja, jeder Mensch sollte mindestens zwei Erzählungen haben, aus denen er oder sie auswählen kann.
Ich wollte nur noch ergänzen, der Übergang war ja auch sehr raffiniert gemacht war, weil man in den ersten Tagen des Krieges RT auch hören konnte, dass man Corona Labore in der Ukraine ausgehoben habe, die von der CIA bewirtschaftet worden sind. Auch in der Weltwoche war das direkt von RT übernommen. Es gab dann so etwas die Übergangsnarrative im Grunde, die das eine mit dem anderen verbinden sollten.
Ich wollte noch ergänzen: Wir haben eben von der Sehnsucht nach einer heilen Welt und Erlösungsbedürfnis gesprochen, das mag sicherlich ein Motivator sein, aber ich glaube, wenn man sich diese Vorträge, diese und auch andere Vorträge anhört, dann ist es ja nicht nur sozusagen die Suggestion einer heilen Welt, sondern eigentlich die einer polaren Welt, wo man relativ klar sehen kann, wer sind die Guten und wer sind die Bösen. Ich glaube, das wiederum spricht eher ein anderes Bedürfnis an.
Einerseits glaube ich schon an so etwas wie einem Bedürfins nach einer Agency, also raus aus dem Gefühl der Ohnmacht und hinein in etwas, mit dem man der dunkeln Macht entgegensetzen kann: die eben einerseits darauf basiert, ich habe jetzt kapiert, wo es langgeht und eben dann auf so einen Vortrag rauszugehen und sich, das ist dann der zweite Aspekt, als Teil einer Gemeinschaft sozusagen der Wissenden zu fühlen. Also in diesem Sinne, glaube ich, ist es auch identitätsstiftend.
Und deswegen ist es, glaube ich, gerade bei der Gansercommunity auch wichtig, dass es ja diese Art Ganser Club gibt oder so, wo man so Clubbeiträge bezahlt, um da Mitglied zu sein und dann 65 Franken im Jahr.
Ja, und dann und dann eben auch noch vor allen anderen mit diesen geheimen Informationen versorgt zu werden. Anderen müssen dann warten auf den Vortrag. Man selber kriegt es also sofort.
Also das heißt, ich finde, dass das zeigt schon sehr deutlich, dass der Gewinn hier auch noch dieser ist, Teil einer Gemeinschaft zu sein und im Rahmen dieser Gemeinschaft dann wieder das Gefühl zu haben, ich bin jetzt wieder, ich verfüge jetzt wieder über Agency und ich weiß jetzt auch, wer ich bin.
Also ich bin einer von denen, die sich hier so pseudogefährlich zu Wort melden.
Da haben wir schon über eben darüber gesprochen, auch diesen Gewinn, dass man plötzlich sich als Dissident inszenieren kann, obwohl einem Jahr eigentlich überhaupt keine Gefahr droht, anders als in Russland, wo eine sehr große Gefahr an Leib und Leben droht, wenn man tatsächlich dissidentisch unterwegs ist.
Nur zwei Sätze. Also bei uns haben Leute sich wirklich alle als erwacht bezeichnet, im Gegensatz zu den Schlafschafen, also hier auf dem Podium oder in der Uni. Und dieses Erwachen war das extreme Gemeinschaftsstiftende.
Man hat einer spirituellen Gemeinschaft angehört und das hat natürlich auch etwas mit der Atomisierung in der Gesellschaft zu tun, dieser Ermächtigungsgedanke.
Das ist bei Ganser ganz stark.
Aber was eine Frage, die mich tatsächlich umtreibt, ist, wann hat es eigentlich begonnen?
Wann hat dieses Phänomen begonnen? Weil wir sprechen ja auch hier über alternative Wahrheiten, wir sprechen über Fake News und wir kennen natürlich alle auch die Politik von Donald Trump, der ja auch und das ist das interessante Phänomen. Donald Trump ist ja auch mit einem Diskurs des Anti Establishments quasi in den politischen Diskurs eingestiegen.
Und ich meine, wer ist mehr ökonomisches Establishment als Donald Trump? Und das ist ja interessant, dass es funktioniert.
Das heißt, dass man mit einem, selbst wenn man aus dem Establishment kommt, mit einem Anti Establishment Diskurs offensichtlich politisch Wahlkämpfe gewinnen kann in unserer heutigen Zeit.
Und das finde ich schon auch so eine gesellschaftliche Herausforderung, vor der wir stehen.
Wo kommt es eigentlich her? Warum ist es eigentlich so? Wo hat es seine Ursprünge?
Und Sebastian Ramschbeck hat in seinem Eingangsstatement darauf hingewiesen, dass Daniele Ganser ja auch Unternehmer ist.
Das heißt, er ist eindeutig Establishment, er ist mit seinem mit seinem Geschäftsmodell erfolgreich unterwegs, aber er inszeniert sich als die Sprache des anti Establishments gegen die Schlafschafe, wie wir hier alle sitzen.
Und und das ist ja ein interessantes Phänomen.
Das ist ein interessantes Phänomen. Wie funktioniert es und wo kommt es her? Und wo kommt eigentlich die Delegitimierung von Orientierungsinstitutionen her, wie sie lange Zeit gegolten haben?
Also z. B. in der Zeit, in der Zeit vor dem Web gab es also, wo es z. B. diese monolineare Kommunikation in den Medien gab.
Das heißt, es gab eine Redaktion des SRF, es gab eine Redaktion der NZZ und es gab eine Redaktion der FAZ und dort gab es Journalisten, die haben gesendet und es gab ein Publikum, das hat rezipiert.
Aber seit wir im Zeitalter von Web leben, ist jeder Sender und Empfänger und jeder hat auch die Vorstellung, dass seine eigene Stimme natürlich genauso mächtig ist wie die eines Sebastian Ramspeck oder wie die eines Christoph Keller.
Weil wo kommen sie her, dass sie mir irgendwas zu sagen haben? Und das hat ja aber auch etwas, das ist ja auch ein Element des Demokratischen, des Partizipativen, des Ermächtigen, des Selbstermächtigenden, mit dem wir hier irgendwie umgehen müssen.
Und so wie das aussieht, und da komme ich jetzt ein bisschen auf den letzten Punkt, haben wir ja noch nicht die Tools, um diesen Diskursen wirklich etwas Mächtiges und in sich Konsistentes entgegenzusetzen.
Oder was würden Sie vorschlagen?
Also ich glaube, zum einen ist es, was wir hier tun, das heißt erst mal bestimmte Dinge, dass sie hier sind.
Ja, erst mal bestimmte Dinge zu beschreiben. Erst mal Dinge zu beschreiben und Moment mal, das ist doch extrem interessant. Es ist ein extrem interessantes zeitgenössisches gesellschaftliches Phänomen.
Das ist unsere Gegenwart. Das ist unsere Gegenwart, in der wir leben, mit der wir täglich konfrontiert sind.
Und wie gehen wir damit um? Welche Antworten finden wir für uns darauf, darauf irgendwie zu reagieren?
Für mich ist es eine offene Frage, aber ich finde, die gesellschaftliche Auseinandersetzung damit ist extrem wichtig. Und deswegen sind wir ja alle hier, weil uns diese Frage hier zusammenbringt. Und ich glaube, genau das ist schon mal der erste Schritt, dass man überhaupt die Dinge beschreibt. Dass man die Dinge beschreibt, dass man die Dinge benennt. Und dann, dass wir uns als demokratische Gesellschaft fragen, wie gehen wir mit diesen Herausforderungen um?
Wie gehen wir damit um, das bestimmte Institutionen, die Wissenschaft, der Medien, der Politik grundlegend hinterfragt werden in ihrer Deutungsmacht.
Und was bedeutet das für unsere demokratischen Gesellschaften, wenn wir wissen, dass antidemokratische Kräfte auch von außen ein großes Interesse daran haben, dass unsere offene Gesellschaft kollabiert.
Und ich glaube, das ist quasi einfach eine Debatte, die wir führen sollten, weil das ist unsere Gegenwart.
Die Fragen, die Fragen sind groß und die Antworten nicht ganz leicht, oder?
Nicola Gess: Auf keinen Fall. Ich wollte auf etwas noch eingehen, was sie eben gesagt haben.
Wo kommt das überhaupt her? Weil damit hängt natürlich auch zusammen, wie kann man jetzt damit umgehen und an etwas erinnern?
Vielleicht an zwei Dinge erinnern. Du hast zum einen neue Medien angesprochen. Ohne Zweifel glaube ich etwas, was man bei der bei dieser Frage mit berücksichtigen muss, sowohl im Sinne der Demokratisierung als auch im Sinne der Frage, was sind das überhaupt für Plattformen, über die solche Desinformationen sich in einer Schnelligkeit verbreiten oder auch entstehen, wie wir sie vorher nicht gekannt haben.
Und wie muss man auch über die Problematisierung dieser Art von sozusagen Geschäft, was ist ja letztlich auch ein Geschäft, was diese Plattform betreibt, über diese Frage nachdenken.
Und ich wollte noch an etwas erinnern, was wir eben auch schon kurz angesprochen hatten, und zwar daran, dass wir es ja in den letzten Jahrzehnten mit sehr vielen, sehr großen Krisen zu tun hatten.
Angefangen, du hast gesagt angefangen bei der Finanzkrise, aber auch davor könnte man z. B. auf Deutschland angesprochen, auch an so wie die Wiedervereinigung denken und die Erfahrungen, die die Menschen in Ostdeutschland in der Zeit gemacht haben.
Und wenn man an diese vielen Krisenerlebnisse denkt und auch daran denkt, dass wahrscheinlich viele Menschen, die dann auch die Erfahrung gemacht haben, dass politisch nicht immer befriedigend sozusagen auf diese Krisen reagiert worden ist, sich Menschen benachteiligt gefühlt haben, auch vielleicht zu Recht benachteiligt gefühlt haben.
Ich glaube, das ist auch etwas, was man jetzt bei der Frage wie gehen wir damit um? nicht vernachlässigen darf. Denn das ist natürlich mit ein Grund für so ein Misstrauen.
Das hat Oliver eben schon angesprochen. Misstrauen gegenüber manchen Medien oder manchmal auch selbst gegenüber wissenschaftlichen Instanzen.
Man kommt eigentlich nicht umhin, auch über die Bewältigung solcher sozialen Krisen sich Gedanken zu machen und sozusagen hier auch das einzubeziehen in die Überlegung, wie könnte man, wie müsste anders mit solchen Krisen, was wären andere Antworten? Was wären Möglichkeiten der politischen Partizipation?
Auch das ist ja ein Bedürfnis, was sich in diesen in diesen Anhängerschaften ausdrückt, eigentlich das Bedürfnis nach politischer Partizipation, was merkwürdig sozusagen fehlgelenkt ist, aber als Bedürfnis erst mal da ist und ja auch sinnvoll ist.
Das heißt, Oliver Nachtwey, Sie haben das schon Angst gesprochen, das, was wir hier beobachten, was wir jetzt analysiert haben, auch zum Anlass zu nehmen, um über das, was Benjamin Schenk jetzt die offene, liberale, demokratische Gesellschaft genannt hat, nicht aufhören nachzudenken und an der weiterzuarbeiten.
Ja, ich kann erst mal beiden nur sehr zustimmen. Ein Problem ist, was wir zumindest in unseren Interviews gesehen haben, die Menschen, die jetzt zu Daniele Ganser hingehen, die sind jetzt, sage ich mal argumentativ ganz vorsichtig ausgedrückt, nicht besonders zugänglich.
Also wer einmal in diesem Tunnel drin ist, kommt schwer, kommt schwer wieder raus. Aber Nicolas hat es richtig gesagt, wir hatten jetzt erst mal eine Geschichte in den westlichen und liberalen Gesellschaften hinter uns, die sehr stark von einer Demokratisierung geprägt war, sehr stark von einer sozialen Integration bis etwa in die er Jahre, Anfang der er Jahre. Und da bricht ein neues Zeitalter an.
Da hat man erstmal das Ende der Geschichte. Überall setzen sich liberale Gesellschaften durch. Aber es ist ein anderer Prozess gekommen, nämlich, dass auch in den westlichen Gesellschaften die Ungleichheit gestiegen ist, die politische Polarisierung zugenommen hat, die Repräsentation von verschiedenen Interessen und Gruppen abgenommen hat, wobei gleichzeitig diese Gesellschaften auch gerechter wurden.
Und das ist so ein bisschen, also gerechter nicht in der sozialen Frage, aber z. B. haben wir heute eine Situation, wo z. B. Frauen eine ganz andere Position, eine Sprecherposition in der Gesellschaft haben und es dadurch aber auch eine schwächere Position des Gegenübers der Männer gibt.
Die müssen nämlich jetzt auch auf was verzichten. Und das heißt, Putin ist ja gewissermaßen das tolle Gegenbild Trump kam auf Obama, den ersten schwarzen Präsidenten.
Das heißt, in diesen Gesellschaften gibt es die Gleichzeitigkeit. Und das macht die Situation so schwierig für uns alle von neuen sozialstrukturellen Ungleichheiten, aber auch politischen neuen Emanzipationsbewegungen, wobei andere dann die Verlierer sind.
Und dann kann man sagen, ist auch richtig und gut so. Aber das macht diese Situation so unübersichtlich. Und viele Leute strömen jetzt zur Partizipation hin, dann teilweise eben auch in einer verkehrten Positionierung.
Sebastian Ramspeck, wir sind so ein bisschen bei den Lösungsansätzen und die Medien spielen ja in dieser Frage, wir haben das heute immer wieder gehört, eine ganz zentrale Rolle. Genau.
Also ich glaube natürlich schon, dass die denn wir mal, ich sage es mal dem ein bisschen, wo es eben nur Einweg Kommunikation gab, die großen Medienhäuser, die gesagt haben, wie die Welt aussieht und man konnte vielleicht noch einen Leserbrief oder Leserinnenbrief schreiben.
Dahin wollen wir ja auch nicht mehr zurück, oder?
Nein, auf gar keinen Fall. Also ich glaube, die Digitalisierung, das Internet hat die Welt natürlich wirklich ganz grundsätzlich verändert und hat dazu geführt, das Vertrauen immer wieder neu auch erarbeitet werden muss und dass Autorität nicht einfach so gegeben ist.
Also ich habe auch schon Journalisten gehört, die gesagt haben, ja, weil wir die NZZ sind oder weil wir SRF sind, vertrauen uns die Menschen. Und das ist natürlich nicht mehr so. Und das ist auch gut, dass es nicht mehr so ist.
Also wir müssen in unserer täglichen Arbeit als Journalisten, als Politikerinnen, als Wissenschaftler auch immer wieder den Beweis erbringen, dass wir vertrauenswürdig sind und dass wir uns selber hinterfragen und dass wir selbstkritisch sind.
Und ich glaube, dass das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Aber ich glaube, da hat man früher vielleicht schon eher einfach mal das auf die Seite schieben können, weil man einfach irgendwie eben im Bundesrat war oder im SRF oder wo auch immer. Und dann war das so wie gegeben. Und ich finde das persönlich unterm Strich eine gute Entwicklung.
Ich finde das gut, aber es hat natürlich den Nebeneffekt, dass halt jeder irgendwas behaupten kann und damit ein sehr, sehr großes Publikum auch erreichen kann.
Und das ist, glaube ich, einfach die Zukunft unserer Gesellschaft, dass diese Herausforderung bleibt.
Und ich persönlich versuche immer das Positive und das Optimistische zu sehen. Und ich finde, es hat sehr viel Gutes, aber es führt natürlich auch zu einer Verunsicherung und mit der müssen wir umgehen lernen.
Silvia Sasse: Ich wollte nur noch eine kleine Beobachtung oder auch Frage vielleicht hinzufügen, auch an den Soziologen, weil, ich finde es völlig in Ordnung zu sagen, wir befinden uns in gesellschaftlichen Krisen.
Aber ich finde auch wichtig, dass wir nicht aus den Augen verlieren, dass es einzelne sehr starke Akteure gibt, die diese massive Desinformation anheizen. Und Russland ist ein so massiver, unfassbarer Akteur der Desinformation. Wenn man das russische Fernsehen im Moment guckt, das ist absolut grenzenlos, das ist extremistisch. Man kann sich nicht vorstellen, was da gesprochen wird.
Also man muss das immer mal wieder sagen. Und das kommt auch praktisch über die Grenzen. Und Russland hat ein Interesse daran, auch unsere Gesellschaften, das hört sich jetzt etwas platt an,
also unsere demokratischen Prozesse zu zersetzen.
Und zwar nicht in einem Sinn von, es gibt auf der einen Seite den Westen, auf der anderen Seite Russland, sondern es handelt sich natürlich auch um internationale Netzwerke.
Russland will uns zu verstehen geben, dass auf der einen Seite Russland ist und auf der anderen Seite der Westen, der kollektive Westen, wie es gerade gesagt wird. Aber das handelt sich um internationale, antidemokratische, zum Teil rechtsradikale Netzwerke.
Und da ist es schon wichtig, sich genau auch anzugucken, finde ich, wer die Akteure sind und diesen Akteuren auch entgegenzutreten.
Das heißt, wenn ich das auf den Punkt, wenn ich das auf den Punkt bringen darf, immer auch die Machtfrage zu stellen, oder?
Ich glaube, es ist ganz zentral.
Ja, ganz herzlichen Dank für diese Einschätzung
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