
Anlässlich des 150. Geburtstages von Lesja Ukrajinka präsentieren wir Ihnen eine künstlerische Rezitation auf Deutsch eines der Werke unserer berühmten Dichterin „Contra spem spero!“ („Gegen alle Hoffnung hoffe ich“), aufgeführt von Solomia Kuschnir, einer in Hamburg lebenden ukrainischen Schauspielerin und Performerin.
Übrigens war die Dichterin selbst von Kindheit an aufgrund einer Knochentuberkulose behindert. Darüber hinaus war das Leben als Schriftstellerin unter dem Zarenreich (und insbesondere als Schriftstellerin in Ukrainisch – einer Sprache, die offiziell als nicht existent galt) mit eigenen Belastungen und Traumata verbunden – sie musste unter einem Pseudonym schreiben und ihre Werke mussten zum Drucken über die Grenze geschmuggelt werden – und die fertigen Bücher mussten zurückgeschmuggelt werden. Und sie war sich ständig bewusst, dass sie wegen Missachtung der Zensur nach Sibirien geschickt werden konnte – und in ihrem schlechten Gesundheitszustand wäre Sibirien praktisch ein Todesurteil gewesen.
Contra Spem Spero!
Fort mit euch, ihr schweren Herbstwolken!
Denn nun kommt der Frühling, goldglänzend!
Soll so in Trauer und Wehklagen
über das Unglück die ganze Geschichte
meiner jungen Jahre erzählt werden?
Nein, ich will lächeln, trotz Tränen und Weinen,
meine Lieder singen, wo das Böse herrscht,
hoffnungslos, eine Hoffung bewahren.
Ich will leben! Fort mit euch, ihr Gedanken der Trauer!
Auf kargem, traurigem Brachland, das nicht bestellt wird,
werde ich Blüten säen, leuchtend in der Farbe,
ich werde Blüten säen, wo der Frost liegt, eisig,
ich werde bittere Tränen über sie gießen, wie es sich gehört.
Und diese brennenden Tränen werden schmelzen
und die ganze mächtige Eiskruste auflösen.
Vielleicht werden Blüten sprießen und sich entfalten
und eines Tages auch für mich den Frühling singen.
Den steinigen, steilen und schroffen Berg hinauf
werde ich einen schweren, gewichtigen Felsbrocken heben.
Und mit dieser schrecklichen Last auf den Schultern
werde ich ein klangvolles Lied singen, ein Lied des freudigen Lobpreises.
In der langen, dunklen, immer blicklosen Nachtzeit
Werde ich keinen Augenblick meine Augen schließen,
ich werde immer nach dem Stern suchen, der mich führt.
Er, der als strahlender Herrscher über den dunklen Himmel herrscht.
Ja, ich werde lächeln, tatsächlich,
durch Tränen und Weinen hindurch.
Meine Lieder singen, wo das Böse will herrschen.
Hoffnungslos, eine unerschütterliche Hoffnung,
die mich für immer aufrecht hält.
Ich werde leben! Ihr Gedanken des Kummers, weg!
bonus
Lesja Ukrajinka (25.02.1871 – 01.08.1913) ist eine berühmte ukrainische Dichterin, Dramaturgin und Übersetzerin. Ihr Werk umfasste anfangs folkloristische, traditionelle Lyrik, später impressionistische Naturlyrik bis hin zu historischer Dichtung. Es gilt als bedeutender Beitrag zur Neuromantik.
Das Meisterwerk „Contra speram spero!“ wurde 1893 zum ersten Mal veröffentlicht.
Contra spem spero- Die Geschichte von Ukrainern in Georgien in sowjetischen Zeiten
Ehemalige Mitglieder der Sowjetunion besitzen bis heute viele Gemeinsamkeiten. Im Fall der Ukraine und Georgiens beinhaltet dies leider nicht nur die gemeinsame Vergangenheit, sondern eine in zahlreichen Bereichen ähnliche Unabhängigkeitsgeschichte und denselben politischen Feind. 2008 hat Russland einen Krieg gegen Georgien begonnen. Das Ergebnis bis heute: 20% besetztes Gebiet, russische Truppen an den Grenzen, wiederholte Versuche, diese als Teil einer allmählich schleichenden Annexion weiter zu verschieben. Am 24. Februar 2022 begann Putin den grossen Krieg gegen die unabhängige Ukraine. Bis heute zeigt aber die Ukraine mutig ihre Eigenständigkeit und ihr neues nationalen Bewusstseins demonstriert. Das ukrainische nationale Gedächtnis ist für Georgien ebenfalls nicht fremd, das es in den siebzig Jahren der Sowjetherrschschaft enge Beziehungen zwischen den nichtrussischen Republiken gab. Ein wichtige Verbindung ist die Geschichte der Ukrainer in Georgien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, besonders in der Zeit nach dem Holodomor (Hungertod an den Bauern in der Ukraine durch Stalin).
Am 30. November 2022, fast 90 Jahre nach diesem Verbrechen anerkannte der Deutsche Bundestag den Holodomor in der Ukraine als Genozid. Wer mit der Geschichte der Ukraine vertraut ist, fragt sich aber: Warum ging es so lange, bis die Geschichte des Holodomor endlich als Genozid anerkannt wurde? Der Angriff Russland auf die ganze Ukraine am 24. Februar 2022 veränderte die seit dem Zerfall der Sowjetunion scheinbar friedliche Lage in ganz Europa wesentlich. Die ukrainische Kultur der Erinnerung und politische Geschichte des Lande wurde nun endlich wahrgenommen. Ohne diese Kenntnisse sind die Hintergründe des gegenwärtige Krieges nicht zu verstehen.
Wenn man an die Geschichte der Ukrainer in Georgien denkt, ist die erste Person, die einem in den Sinn kommt, Lesja Ukrajinka, eine der bekanntesten ukrainischen Dichterinnen im 20. Jahrhundert. Ihre Gedichte werden oft als feministisch und modernistisch bezeichnet. Die Prominente ukrainische Dichterin hat während der Zeit des nationalen Erwachens gelebt, weshalb es nicht überraschend ist, dass ihre Werke stark von Nationalbewegung beeinflusst wurden. Contra spem spero-oder: gegen die Hoffnung hoffen ist der Titel Ihres berühmten Gedichtes. Ironischerweise war Ukrajinkas Leben genau so tragisch, wie das Schicksal ihres Landes. Sie erkrankte an Tuberkulose. Trotz ihrer persönlichen und nationalen Tragödie sind Ihre Werke voller Hoffnung. Aufgrund ihrer chronischen Erkrankung hat Lesja Ukrajinka Teile Ihres Lebens in Georgien verbracht. Die Betrachtung der Beziehung zwischen der Dichterin und der georgischen literarisch-kulturellen Gesellschaft ist spannend und zeigt die Freundschaft zwischen zwei Ländern im Postsowjetischen Raum, die eine ähnliche Geschichte und denselben Feind haben. Durch Ukrajinkas Werke gewinnt man eine bessere Vorstellung von der ukrainischen kulturellen Identität und deren Charakter. Es muss hervorgehoben werden, dass am wichtigsten Gedächtnisort in Telawi, der historischen Königstadt im östlichen Teil Georgiens, an welchem die Dichterin die letzten zehn Jahre ihres Lebens verbrachte, seit 2011 auf Initiative der damaligen ukrainischen Regierung eine Statue von Lesja Ukrajinka steht. 2021 wurde hier ihr 150-jähriges Jubiläum gefeiert. Ein weiterer wichtiger Punkt hierzu ist, dass in sowjetischen Zeiten genau an diesem Ort im Nadikvari Park die Statue Stalins stand.
Viele, die den Holodomor überlebt hatten, sind später nach Georgien gezogen. Einer dieser Menschen, die diesen wie durch ein Wunder überlebten, hat für etwa 40 Jahre in der Familie meines Großvaters gelebt. Meine Urgroßmutter hat Fjokla Sachkova Lagoda durch Zufall auf der Straße getroffen, sie war obdachlos und ohne Plane für die Zukunft. Alles, was sie am Leben schätze war vernichtet: die Familie, ihr Mann und zwei ihrer Söhne waren an der Hungersnot gestorben, trotzdem war sie nicht hoffnungslos. Den Rest ihres Lebens hat sie in dieser Familie in Telawi verbracht. Zuerst war sie die Babysitterin für den Sohn meiner Urgroßmutter, dann ihrer Enkel und Enkelinnen. Meine Mutter erzählte mir häufig von Fjoklas Geschichte. Wie sie sich an ihr Leben in der Ukraine und ihre Familie erinnerte, die vor dem Hungernot ziemlich reich gewesen war. Was ich immer besonders spannend fand, war ihre Opposition und ganz abweichende Meinung von der überall akzeptierten sowjetischen Ideologie. Fjokla glaubte an Gott, sie betete und sammelte Ikonen aus alten Zeitungen. In der Familie positionierte Sie sich gegen Leninkult, sie ging jeden Sonntag in die Kirche und hat gebetet, was damals wirklich heldenhaft war. Genau anhand solcher Menschen wie Fjokla können andere verstehen, dass das Vorbild des idealen Lebens in der Sowjetunion in Wirklichkeit so gut wie nie existierte. Die Überzeugungskraft von Fjoklas Geschichten war für meine Familie ausreichend, um nicht an der falschen Seite der Geschichte zu stehen und sich auch gegen Sowjetische Politik zu positionieren. Glücklicherweise, war Sie nicht die Einzige, die Ihre Gesellschaft so beeinflusste.
Die ukrainische Bevölkerung war immer mutig genug, ihre eigene Position in der Öffentlichkeit zu demonstrieren. Nach den 30er Jahren gab es in Georgien viele Ukrainer*innen, die den Holodomor überlebten. Ich habe mehrmals von meinen Familienmitgliedern gehört, dass in gelehrten Kirchen und Klöstern ukrainische Frauen beteten. Klar, aus heutiger Sicht wird das nicht mehr als etwas so Heldenhaftes angesehen, aber in Sowjetischen Zeiten war das genauso mutig, wie die eigene politische Meinung oder Kritik gegen die Regierung zu äußern (Auch das fürchteten die Ukrainer nicht). Was stand auf dem Spiel? – Meistens Tod. Besonders in den 30er Jahren, in denen man für jede freie Meinungsäußerung Opfer des großen Terrors werden konnte.
In der Forschung gibt es immer mehr Thesen, mit denen Autoren versuchen zu erklären, warum das Sowjetische Imperium nach seiner 70-jährigen Existenz zu Ende ging. Bemerkenswert ist, dass es immer, wenn die Rede von Imperien ist, keine einzelnen Gründe für Zerfall und Untergang gibt (z.B gibt es in der Forschung etwa 200 verschiedene Thesen über den Untergang des Römischen Reiches). So gesehen ist die Sowjetunion auch keine Ausnahme. Wenn wir die Geschichte von Imperien und deren Niedergänge vergleichen, kommen wir zu der Schlussfolgerung, dass alle Imperien für Zerfall geeignet sind. Die Dauer hängt davon ab, wie effektiv das Verwaltungssystem organisiert ist. Bei riesigen Imperien, die mehrere Nationen vereinigen, ist der Ideologiesierungsprozess maßgeblich. Der Knackpunkt war, dass trotz endloser Versuche verschiedener Sowjetischen Anführer, das gewünschte Ziel nicht erreicht werden konnte, weil es innerhalb der 15 Republiken keine spezifischen soziokulturellen Gründe für ein Zusammengehörigkeitsgefühl gab. (Eine Sprachreform war einer dieser Versuche, welcher darauf abzielte, mit sprachlicher Einheit eine Basis für diese Zusammengehörigkeit zu bilden). Meiner Meinung nach, konnte dieses Ziel, welches offensichtlich eines der wichtigsten der sowjetischen Regierung und ihrer Ideologie war, nicht ganz erreicht werden, da das Streben nach Unabhängigkeit und Nationalismus innerhalb der sowjetischen Republiken immer stärker war als die politische Propaganda.
Der Titel dieses berühmten Gedichts, das bis heute in ukrainischen Schulen gelehrt wird, drückt die Tapferkeit und den Gesamtcharakter des ukrainischen Volkes wunderbar aus, das bereits vor 100 Jahren darauf strebte, für seine Werte zu kämpfen, auch wenn es keine Hoffnung oder kein zu erwartendes Positives Ergebnis gab. Mein Land kennt die Ukrainer als das, was sie sind – für uns waren sie diejenigen, die keine Angst hatten, sich gegen den sowjetischen Imperialismus auszusprechen, die genug Mut hatten, für ihren Glauben einzustehen und sogar regelmäßig in die Kirche zu gehen, was damals als staatsfeindlich galt.
Einmal wurde Aleksandr Solschenitsyn von Scammell als ein Schriftsteller betitelt, der ein Imperium zerstörte. Zum Glück kämpften viele andere an seiner Seite, Menschen, die ein Leben ohne die Freiheit der Gedanken nicht ertragen konnten- oder eher ein Leben ohne jede Art von Freiheit. Das gilt sowohl für Schriftstellerinnen wie Lesja Ukrajinka, die bis heute unser Denken prägen, als auch für all jene Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, nachdem sie schmerzhaften Todesdrohungen entkommen waren, und dennoch den Mut hatten, für das einzustehen, woran sie glaubten.
Auch hoffnungslos hoff ich im Leben: So schreibt Lesja Ukrajinka und zeigt uns damit die immer wieder bestehende Situation ihrer Nation. Der Mut zur Hoffnung gleichzeitig der Kampf für die Unabhängigkeit sind so maßgeblich für die ukrainische Nation, dass ihnen diese eben nach dem Großen Terror, dem Holodomor, der Nuklearkatastrophe in Tschernobyl, der Krimmanexion und dem aktuellen Krieg gegen Russland nicht abhandenkommen sind, sondern sich weiter verstärkt haben. Die erstaunliche Fähigkeit, in hoffnungslosen Lebenssituationen trotzdem die Hoffnung zu erhalten, zeigt sich seit 2022 als Vorbild für die ganze Welt. Es war nicht zu erwarten, dass der Krieg in der Ukraine so lange dauern würde. Der einzige Grund dafür ist, dass wir mit dem ungebrochenen Mut dieses Landes nicht vertraut waren. Aber die Geschichte der Ukrainer im 20. Jahrhundert zeigt deutlich, dass Contra spem spero schon immer das Motto für der ukrainischen Nation gewesen ist.
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Olga Borovskykh (Dienstag, 25 Februar 2025 18:10)
Das ist ein hervorragender Text! Sie haben ein tiefgründiges Verständnis für die Geschichte der Ukraine. Wissen Sie zufällig, von wem die Übersetzung des Gedichts stammt, das im Video vorgetragen wird? Ich finde diese Übersetzung viel passender als die am weitesten verbreitete.
Max (Freitag, 28 Februar 2025 08:50)
Das freut mich sehr. Den Text nahm ich teilweise aus dem Video und bearbeite selbst eine Übersetzung, die ich im Internet fand, das sie mir besser erschien. Offenbar gelang es mir gut. Ihr Feedback freut mich. Vielleicht interessiert sie noch anderes, was ich von der Ukraine verbreite. Ich finde viele sehr gute Stimmen aus der Ukraine, die ich selbst kenne und Freunde habe, die mir sehr viel bedeuten. Ich bin auch am Café Kyjw in Berlin zu hören. Sie finden es bei mir auf Facebook: https://www.facebook.com/max.hartmann.14203