Mikhailo Movchan - Bruder von Danylo Movchan
*2.06.1981 +14.07.2023 - Ruhm der Ukraine!
Heute benachrichtigte Danylo Movchan seine Freunde über Facebook, dass sein Bruder Mikhailo im Krieg am 14. Juli getötet wurde. Er wurde 42 Jahre alt.
So ist der Krieg mit dem Tod nun auch in seiner Familie gegenwärtig geworden. Was schreibt man jemanden, der das erlebt?
Es gibt so viele Floskeln. Ein Gedicht von Kurt Marti erinnert daran. Es begleitet mich schon lange, so oft auch in schwierigen Situationen, wenn ich mit Trauerfamilien am Grab stand. Schon als junger Theologe nahm ich mir vor, nie jemanden mit gut gemeinten, aber in der Situation billigen Sprüchen abzuspeisen. Schon deshalb nicht, weil ich wusste, wie meine Mutter auf den Text der Abdankung nach dem tödlichen Unfalls meines Bruders reagiert hat.
Es war ein Text aus Hiob, den leidgeprüften Vater, der seinen Besitz verlor, seine sieben Söhne und seine Gesundheit. Seine erste Reaktion war «fromm»: «Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobt.» Und: «Das Gute nehmen wir von Gott an, sollten wir das andere nicht auch annehmen?»
Vordergründig erscheint diese Gelassenheit bewundernswert. Doch kann das wirklich schon zu Beginn echt sein? Die Fortsetzung zeigt es: «Da verfluchte Hiob den Tag seiner Geburt» (Kapitel 3). Und dann geht es weiter über viele Kapitel, wo Hiob um Verständnis ringt, Gott in Frage stellt, sich nicht abspeisen lässt mit Sätzen wie: «So geschieht nicht ohne Grund. Du wirst es verdient haben. Erkenne deine Schuld.» Oder: «Die Gott liebt, die prüft er auch besonders.» Solche Sätze erschlagen. Und Gott gibt damit schlussendlich Hiob recht. Er weist dessen Freunde mit ihren Sprüchen zurecht. Sie müssen dafür sogar Abbitte tun.
Ich konnte meine Mutter verstehen, dass sie mit der damaligen Traupredigt mit den oben genannten frommen Sätzen nicht zufrieden war. Für sie war damals Gott gestorben und sie konnte auch später nicht zu Gott finden.
In einem Seminar während meiner Ausbildung an der Universität Bern befasste ich mich dann mit dem ganzen Hiob. Und es ermutigte mich zu einer Verkündigung. Eine Verkündigung, die Wut auf Gott, unzählige Fragen an ihn zulässt. Eine Verkündigung, die keine Antwort auf die Frage des Warum gibt, da dies uns nicht möglich ist.
Ich sage manchmal auch: In der Ewigkeit, wenn ich einmal vor Gott stehe, muss ich ihm viele Fragen stellen, wo ich ihn nicht verstehen konnte. Gleichzeitig habe ich aber den Eindruck, dass ich dann nicht mehr fragen muss, weil ich im Angesicht Gottes davon erlöst bin. All das Belastende zerfällt. Ich muss es nicht wissen. Es würde mich auch nicht weiterbringen.
Kurt Marti schreibt:
dem herrn unserem gott
hat es ganz und gar nicht gefallen
daß gustav e. lips
durch einen verkehrsunfall starb
erstens war er zu jung
zweitens seiner frau ein zärtlicher mann
drittens zwei kindern ein lustiger vater
viertens den freunden ein guter freund
fünftens erfüllt von vielen ideen
was soll jetzt ohne ihn werden?
was ist seine frau ohne ihn?
wer spielt mit den kindern?
wer ersetzt einen freund?
wer hat die neuen ideen?
dem herrn unserem gott
hat es ganz und gar nicht gefallen,
dass einige von euch dachten
es habe ihm solches gefallen
im namen dessen der tote erweckte
im namen des toten der auferstand:
wir protestieren gegen den tod von gustav e. lips
Dennoch versuchte ich heute, Danylo Movchan, dessen Kunst ich verfolge und mich hilfreich begleitet, etwas zu schreiben. Hier mein Versuch:
«Lieber Danylo, ich kann dich nur aus der Ferne umarmen. Mykhailo hoffte, als er in den Krieg zog, hoffte er auf den Sieg und dass er nach Hause zurückkehren würde. Er wusste aber auch, dass es anders sein kann.
Wie muss es damals für ihn gewesen sein? Was hat er in seinen letzten Stunden erlebt? Wie war sein Tod? Ich hoffe, du bekommst die Nachrichten. Es ist sehr wichtig, mehr zu wissen, auch wenn es uns Mikhailo nicht zurückholt.
Jetzt habt ihr so viele Dinge zu organisieren. Du musst irgendwie funktionieren. Der Rest, die Leere, die Wut, die Erschöpfung, wird später kommen. Ich wünsche dir ruhige Stunden, in denen du deine Gefühlen leben kannst, vielleicht nur schreien oder weinen, wenn du es kannst. Vielleicht ist aber auch alles in dir wie versteinert.
Du gehst gerade durch dein persönliches Golgatah. Ich sehe immer wieder den gekreuzigten Christus in deinen Bildern vom Krieg. Russland kreuzigt Christus in diesen Tagen unzählige Male.
Eine Frau, die Putin schon in St. Petersburg erlebte und später wieder persönlich, schrieb mir: "Er ist ein Satanist". (Den genauen Hintergrund kann ich hier im Unterschied zu Danylo nicht näher beschreiben.) Und Kirill, das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche, ist sein Komplize. Keiner von ihnen wird dem endgültigen Gericht Gottes entgehen.
Hat dein Bruder eine Familie? Sind seine Eltern noch am Leben? Wer war er und wer wird er für dich bleiben?»
Danylo antwortet:
Lieber Max! Ja, ich umarme dich hier. Dieser Schmerz in mir ist so dumpf, weil ich ihn schon lange spüre und wir für jeden Ukrainer leiden, der durch die Hand der Russen gestorben ist. Unsere Tränen sind bereits versiegt...
Mein Bruder Mykhailo wurde bei einem Kampfeinsatz in der Nähe von Bakhmut getötet. Unsere Mutter ist noch am Leben.
Jeder ukrainische Soldat vollbringt jetzt im Krieg übermenschliche Leistungen, obwohl die Russen zahlenmäßig weit unterlegen sind.
Mehr zu Danylo Movchan:
https://www.max-hartmann.ch/2022/04/05/der-krieg-in-bildern-von-danylo-movchan/
Mehr zu Hiob:
https://www.max-hartmann.ch/2023/03/08/hiobs-botschaft-das-geheimnis-des-leidens-richard-rohr/
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