· 

Das Universum hinter dem Stacheldrahl

Einblick in ein ganz besonderes Werk

 

Nach mehr als einem Jahr Arbeit ist es nun so weit: Heute konnte das "Gut zum Druck" erteilt werden. Für mich ist das Ganze ein unglaubliches Wunder, das mir "zugefallen" ist:

 

- Dass Myroslaw Marynowytsch auf mein Feedback zur englischen Übersetzung mit der Anregung, es sollte eine deutsche Ausgabe geben, geantwortet hat: Es gibt eine, aber sie sollte überarbeitet werden.

 

- Dass ich in die Übersetzung erhielt und mir der Verfasser, ein Freund aus der Studentenzeit am Polytechnikum in Lwiw schliesslich sein Werk zur Überarbeitung überliess (er möchte anonym bleiben).

 

- Dass Myroslaw Marynowytsch mir Nadja Simon vermitteln konnte, eine professionelle ukrainischstämmige Dolmetscherin, um Übersetzungsfehler zu bereinigen. 

 

- Dass ich die Reihe «Ukrainian Voices» fand und damit Adresse des Herausgebers, Dr. Andreas Umland (Politikwissenschaftler, Publizist und Osteuropa-Experte) und sich die Suche nach einem Verlag völlig überraschend als leicht erwies. Seine Reaktion: «Es ist mir eine Ehre, das Werk zu veröffentlichen».

 

- Die sehr unkomplizierte Zusammenarbeit mit Herrn Schön vom ibidem-Verlag. 

 

- Mir Timothy Snyder, international bekannter Professor an der Yale University und Permanent Fellow am Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen. Seine Forschungsschwerpunkte sind Osteuropäische Geschichte und Holocaustforschung das Übersetzungs- und Abdruckrecht für sein längeres, sehr einblickreiches Vorwort, völlig unkompliziert erteilte. 

 

- Dass wir eine Buchvernissage mit dem «Ökumenischen Forum für Glaube, Religion und Gesellschaft in Ost und West» in Zürich und/oder Basel durchführen können und ich Stefan Kube unmittelbar vor seinem Abflug nach Warschau erreichte, um in Lwiw an einem Kongress teilzunehmen, an der Myroslaw Marynowytsch gesprochen hat (die beiden kannten sich zudem auch schon).

  

All das konnte ich nicht zum Voraus wissen. Irgendwie ist dieses Werk wirklich ein besonderes Werk! 

 

 

Ein langer Weg geht zu Ende – und nun hoffen wir, dass das Werk eine breite Besprechung und vor allem Lesende finden. Gerade in dieser Zeit, wo wir nach wie vor nur bangen können, dass der Ukraine gelingt, ihre Existenz zu behaupten und den Weg zu Europa und damit zur EU und zur NATO zu finden. Und es, wie Myroslaw am Schluss einen grossen Traum beschreibt, es zum Gericht über die Verbrechen des Kommunismus und Putins kommt und auch zur nötigen moralischen Erneuerung der Ukraine und zur Befreiung von den korrupten Strukturen. Dies alles mit einem unglaublichen Heldentum und unglaublichen Opfern.

 

Nachfolgend mein Nachwort zum Werk und die ersten Zeilen von Timothy Snyder und Myroslaw Marynowytsch:

 

 

Nachwort

 

Ich hätte nie gedacht, dass ich in meinem Leben eine Persönlichkeit kennenlerne, der für seinen Einsatz für die Einhaltung der Menschenrechte mit sieben Jahren Straflager für besonders Gefährliche und anschließender Verbannung in der Einöde Kasachstans bestraft worden ist. Und der, wie Timothy Snyder in der Einleitung schreibt, sich als Agnostiker betrachtete, während seines Verhörs aber eine Epiphanie erlebte und gläubiger Christ war, als er verurteilt wurde.

 

Als ich die amerikanische Übersetzung noch vor dem Ausbruch des großen Krieges las, beeindruckten mich die Memoiren von Myroslaw Marynowytsch so sehr, dass ich mir wünschte, dass dieses Buch auf Deutsch erscheint. Noch nie zuvor hatte ich einen so tiefen und persönlichen Einblick in das Leben hinter dem Eisernen Vorhang gelesen. Dabei staunte ich immer wieder über den Mut von Myroslaw Marynowytsch, sich im vollen Bewusstsein der Konsequenzen gegen das Unrecht zu entscheiden. Zudem erkannte er prophetisch, dass es zum heutigen Krieg kommen könnte.

 

Nachdem dies geschehen ist, wurde für mich die Herausgabe einer deutschen Übersetzung zu einer wichtigen Chance, die schrecklichen Hintergründe und die Dringlichkeit des Kampfes der Ukraine um ihre Unabhängigkeit in vollem Ausmaß verstehen zu können.

 

Mit einer Mail wandte ich mich an Myroslaw Marynowytsch und schrieb ihm, wie sehr mich sein Buch beeindruckt hat und wie wichtig eine deutsche Übersetzung gerade jetzt sei. Bereits in seiner Antwort bot er mir das Du an und schrieb mir, dass es schon jemand versucht hätte, die Übersetzung aber noch eine sprachliche Überarbeitung bräuchte, um von einem Verlag veröffentlicht zu werden.

 

Ich wollte mir die Übersetzung ansehen, da ich eventuell dazu beitragen könnte, eine solche Veröffentlichung zu ermöglichen. Einige Stunden später konnte ich mir bereits einen Eindruck verschaffen und meinte, dass das zu schaffen wäre.

 

So geht mein erster Dank an die Person, die diese Übersetzung mit großem Einsatz und Herzblut bewältigt hat und mir dann zur Bearbeitung überließ. Sie möchte anonym bleiben. Es sei aber verraten, dass sie Myroslaw Marynowytsch kennt und sogar einen kleinen Teil seines Lebens mit ihm teilte.

 

Was mir allerdings nicht möglich war, ist die Überprüfung der Richtigkeit dieser Übersetzung. Auch da half mir Miroslaw weiter und vermittelte mir mit Nadja Simon, einer gebürtigen Ukrainerin, eine professionelle Dolmetscherin, die mir half, und die Miroslaw Marynowytsch zudem ebenfalls persönlich kennt.

 

Die Suche nach dem Verlag war eine Überraschung. Da ich verschiedene Publikationen aus der Reihe »Ukrainian Voices« beim ibidem-Verlag gelesen hatte, wandte ich mich an den Herausgeber der Reihe, den Osteuropa-Experten Andreas Umland. Siehe da: Auch er kannte Myroslaw und stimmte sofort zu. Mein Dank geht auch an den Betreuer vom Verlag, Christian Schön, und an die Lektorin Karen Moser.

 

Bereits zu Beginn war es das Anliegen von Myroslaw Marynowytsch, dass das Buch im Unterschied zur amerikanischen Ausgabe in vollem Umfang erscheint. Später regte er an, dass das Cover wie das ukrainische Original gestaltet sein könnte. Sie ist das Werk von Mykhailo Heina, des Neffen von Ljuba Heina, der Ehefrau von Myroslaw, der in seiner Jugend seine Mutter verlor und dem das Ehepaar Marynowytsch eine gute Ausbildung ermöglichte.

 

Beim Lesen und Überarbeiten der Übersetzung wurde mir immer wieder bewusst, welch unverdientes Privileg es ist, im Westen und dazu noch in der Schweiz geboren zu sein und leben zu können. Unser Land hat seit mehr als hundertfünfzig Jahren keinen Krieg mehr auf dem eigenen Gebiet erlebt und musste nie unter einem despotischen Regime leben. Freiheit und Unabhängigkeit sind uns selbstverständlich. Unser nationaler Gründungsmythos spricht davon, dass Wilhelm Tell den Gruß an Geßler verweigerte und es ihm schließlich gelang, diesen zu töten.

 

Für mich hat bereits in meiner Jugendzeit die damalige Welt hinter dem »Eisernen Vorhang« eine Faszination ausgeübt, sodass ich wissen wollte, was tatsächlich davon wahr ist. Damals erschienen gerade die Werke von Alexander Solschenizyn über den Archipel Gulag. Ich verschlang sie und versuchte mir auch über Kurzwelle einen Eindruck der sowjetischen Propaganda zu verschaffen.

 

Am Ende meines Studiums in den 1980er-Jahren wagte ich den ersten Schritt hinter den Eisernen Vorhang und besuchte einen Freund, der als Austauschstudent ein Jahr in Leipzig an der damaligen Karl-Marx-Universität Theologie studierte. Der Grenzübertritt in der Nacht war gespenstig – Flutlichter draußen und die Durchsuchung des Zuges mit Hunden. Beim Ausstieg kam mir der typische Geruch von Braunkohle entgegen. Ich lernte einige junge Theologiestudenten kennen, die als Wohngemeinschaft in einer abbruchreifen Liegenschaft lebten und mit ihrer Teilnahme an den Friedensgebeten in der Leipziger Nikolai-Kirche zur Opposition gehörten. Einer schenkte mir am Schluss seine Jungendweihe-Urkunde und ein Büchlein, in dem seine Teilnahme an der obligatorischen Schießausbildung bestätigt war.

 

Dies brachte mich beinahe in große Not. Beim Grenzübertritt an der Friedrichsstraße in Berlin wurde ich herausgenommen und in einen kleinen Raum geführt, wo man mein Gepäck kontrollierte. Der Verantwortliche fand die theologische Abschlussarbeit meines Freundes, durchsetzt mit vielen hebräischen Zitaten, was ihm offenbar verdächtigt vorkam. Er nahm sie mit und ließ mich allein. Es wurde zur längsten halben Stunde meines Lebens, da ich nur hoffen und beten konnte, dass es nicht zu einer weiteren Durchsuchung kommt.

 

Eindrücklich habe ich meine Hochzeit und die anschließende Reise nach Prag in Erinnerung. An unserem Hochzeitstag, dem 7. Oktober 1989, feierte die DRR ihr vierzigjähriges Jubiläum mit einer Parade in Berlin, in Anwesenheit von Michail Gorbatschow. Am Tag zuvor musste ich noch persönlich bei der tschechoslowakischen Botschaft in Bern vorsprechen, weil ich immer noch kein Visum hatte. Bei Personen mit einem kirchlichen Hintergrund bedurfte es damals einer längeren Überprüfung. In Prag begegneten uns schließlich lange Reihen von Autos, die DDR-Bürger hinterlassen hatten, die über die Mauern von westlichen Botschaften geklettert waren und dann mit einem Sonderzug nach Westen geschafft wurden.

 

Niemals hätte ich gedacht, dass einen Monat später die Berliner Mauer fallen würde. Unglaublich die Vorstellung, dass ich nun einfach durch das Brandenburger Tor spazieren könnte!

 

Im Jahr 2017, in einem wunderschönen Frühling, besuchte ich schließlich mit meiner Frau auch die Ukraine, nachdem ich viel über die wunderschöne Altstadt von Lemberg und seine Geschichte gelesen hatte – und war mehr als überrascht, wie lebendig die Stadt uns vorkam mit ihren vielen jungen Leuten und einer deutlich spürbaren Aufbruchstimmung. Nachdenklich stimmten mich die Gedenkstellen im Stadtpark mit Bildern von Gefallenen im Konflikt in der Ostukraine und eine Fotoausstellung mit Kriegsopfern, darunter ein junger Vater, der nach der Taufe seiner Tochter auf dem Rollstuhl über die Kirchentreppe getragen wird. Da wurde mir anschaulich, was Krieg bedeutet.

 

Heute ist mir bewusst, wie wichtig die Unterstützung der Ukraine in ihrem gegenwärtigen Kampf ist. Auch als eine kleine Wiederherstellung von Gerechtigkeit gegenüber der Ungerechtigkeit, die sie erleiden musste, als nach dem Zweiten Weltkrieg Europa geteilt wurde – und sich die einen erholten und der Wiederaufbau gefördert wurde, während die anderen nach dem Nazi-Regime erneut unter ein Gewaltregime gerieten: das der stalinistischen Diktatur mit ihrem Anspruch auf Weltherrschaft.

 

Im Jahr 1989 glaubten wir, der Kommunismus wäre überwunden – heute erfahren wir, dass eine neue Weltordnung mit einem totalitären System entsteht, dem es Widerstand zu leisten gilt.

Max Hartmann

 

 

 

Aus dem Vorwort von Timothy Snyder

 

Ein junger Mann namens Myroslaw Marynowytsch wurde 1977 verhaftet, weil er die Wahrheit über sein Land gesagt hatte. Das Verbrechen, für das er verurteilt wurde, war die Verbreitung von Bulletins über Menschenrechtsverletzungen in der Sowjetukraine. Als er mit achtundzwanzig Jahren verhaftet wurde, war er Agnostiker. Als er ein Jahrzehnt später freigelassen wurde, war er ein christlicher Ethiker und politischer Denker. Diese Memoiren sind ein bescheidener und demütiger Bericht über einen Mann, der in der Hölle reifte.

 

In den 1970er-Jahren stellten die Menschenrechte eine unerwartete Herausforderung für die sowjetische Macht dar. Zusammen mit den Vereinigten Staaten, Kanada und allen europäischen Staaten außer Albanien unterzeichnete die UdSSR 1975 die Schlussakte von Helsinki.

 

Dieser Vertrag war ein Wendepunkt im Kalten Krieg. Er bestätigte die bestehenden Grenzen, bereitete den Weg für Rüstungskontrollverhandlungen und bekräftigte die Menschenrechte. In der Sowjetunion und ihren osteuropäischen Satellitenstaaten griffen die Bürger das Konzept der Menschenrechte auf, um ihr eigenes öffentliches Handeln zu definieren. Wenn die Menschenrechte nun das Gesetz des Landes seien, so ihre Argumentation, müsse es auch legal sein, Verstöße zu dokumentieren.

 

Die Ukrainische Helsinki-Gruppe, der Marynowytsch 1976 beitrat, folgte dieser Logik. Ihre Mitglieder veröffentlichten Nachrichten über die Schikanen, Verhaftungen, Prozesse und Verurteilungen von Sowjetbürgern. Die Tätigkeit dieser Ukrainischen Helsinki-Gruppe führte unmittelbar zur Verfolgung ihrer Mitglieder, die dann von den Verbliebenen aufgezeichnet wurde. Das Milieu war loyal: Einige der Verhafteten weigerten sich überhaupt Fragen zu beantworten; Marynowytsch behauptete, er sei persönlich für alle Aktivitäten der Gruppe verantwortlich.

 

Myroslaw Marynowytsch wurde am 23. April 1977 verhaftet, fast ein Jahr lang verhört und am 22. März 1978 vor Gericht gestellt. Er wurde zu sieben Jahren Gulag und zu fünf weiteren Jahren interner Verbannung verurteilt. Die Einrichtung, in die er geschickt wurde, Perm-36, war vielleicht das berüchtigtste Lager seiner Zeit. In den 1970er- und 1980er-Jahren wurde es für Personen genutzt, die »besonders gefährliche Verbrechen gegen den Staat« begangen hatten, d. h. für Gefangene aus Gewissensgründen. In Perm-36 waren zu dieser Zeit, wie im gesamten Gulag, überproportional viele Ukrainer inhaftiert.

 

Marynowytsch wurde am 14. Mai 1984 aus Perm-36 entlassen und ins innere Exil nach Kasachstan geschickt. Im Jahr darauf wurde Michail Gorbatschow Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. In einer Zeit der Reformen wurde die Bestrafung politischer Gefangener zu einer peinlichen Angelegenheit.

 

Marynowytsch weigerte sich Anfang 1987 einen Antrag auf Amnestie zu stellen, wurde aber noch im selben Jahr zusammen mit anderen Dissidenten freigelassen. Er kehrte aus Kasachstan in die Ukraine zurück, wo er das Ende der Sowjetunion im Dezember 1991 miterlebte. In der unabhängigen Ukraine setzte er sein bürgerliches Engagement fort, das in seiner Arbeit als Dozent und Verwalter der Ukrainischen Katholischen Universität in Lemberg gipfelte.

 

 

Die Grundsteinlegung des Schicksals

 

Meine Geburtsstunde als Dissident erlebte ich in Kyjiw im Kabinett eines Offiziers des KGB. Er leitete die sogenannte »Erste Abteilung« in der Firma »Positron« in Iwano-Frankiwsk und alle Beschäftigten des Werkes standen unter seiner Beobachtung. Ich kam gerade von einer Dienstreise aus Kyjiw zurück, wo ich auf Veranlassung des KGB am 22. Mai 1973 von der Miliz verhaftet worden war, da ich Blumen am Denkmal von Taras Schewtschenko niedergelegt hatte. Für einen KGB-Funktionär aus der Provinz war es ein außergewöhnlicher Fall, der ihn in Form einer dienstlichen Rüge bedrohte. Sein Zögling machte sich strafbar und das vor den Augen des KGB der Hauptstadt! Ich erhielt eine heftige Ermahnung. Mir war aber klar, dass die »väterlichen« Ratschläge den erwünschten Effekt verfehlten, als er mich eindringlich warnte: »Bedenken Sie: Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns.«

 

Ich antwortete schlicht: »Gut, dann bin ich gegen euch.«

 

Ich staune noch heute, dass ich so klare Worte riskierte. Heute wäre von mir wohl eher vorsichtig zu hören: »Einerseits …, andererseits …«

 

Es war für mich eine große Erleichterung wie bei einer Geburt, wenn der erste Schrei des Kindes verheißt, dass die Wehen der Geburt überstanden sind. Alle, die eine ähnliche Befreiung von Angst erlebt haben, begreifen, wie sehr die Seele aufatmet, wenn sie von der Last der Ungewissheit befreit wird.

  

 

Vorbestellung

Als verantwortliche Person für die Überarbeitung des Werkes bis zum „Gut zum Druck“ erhalte ich Exemplare zu einem Sonderpreis. Diese können nur für Schweizer Bezüger bei mir für CHF 25.- bis Ende August 2023, ab September CHF 30.- plus Porto bezogen werden (ab 4. September bei Orell Füssli CHF 49.90/ex libris 38.50).

  

Bestellung mit Adresse und Anzahl an: hartmann_max@outlook.ch 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Christian Franke (Mittwoch, 19 Juli 2023 18:39)

    Super Nochricht und Gottes riiche Säge