Reformierte Kiche Sankt Johann Stugl/Stuls
Fotos und Text Max Hartmann
Reformierter Pfarrer, 34 Jahre in Brittnau, nun wohnhaft in Zofingen
Seit Jahren immer wieder in Bergün im Sommer
Wer früher die Handelsroute durch die Alpen von Norden nach Süden folgte, zu Fuss, zu Pferd oder anderen Lasttieren, musste oft Umwege auf sich nehmen, da auf dem direkten Weg keine Wege möglich waren. So etwa, wenn sie von Mistail her das Albulatal weiter folgten, konnte man zuerst dem Fluss folgen, musste dann hoch hinaufsteigen nach dem kleinen retoromanischen Dorf Stugl. Als etwas vom ersten war das Kirchlein zu sehen, hoch oben auf einem Felsen thronend. Dort weitete sich auch der Blick nach Süden in eine Zwischenebene.
Es stellt auch heute dem Wanderer die Frage: Wo liegt dein Fundament? Ist es solid auf den Felsen gebaut, so dass du dem Sturm oder einem Gewitter widerstehen kannst? Was sind deine gegenwärtigen Herausforderungen? Damals war den Reisenden das Ende der berühmten Bergpredigt Jesu bekannt (Matthäus 7,24-27):
«Jeder, der diese meine Worte hört und danach handelt, ist einem klugen Mann gleich, der sein Haus auf Fels gebaut hat. Da gingen Regengüsse nieder, Sturzbäche kamen, und Winde wehten und warfen sich gegen das Haus, und es stürzte nicht ein. Denn Fels war sein Fundament. Und jeder, der diese meine Worte hört und nicht danach handelt, ist einem törichten Mann gleich, der sein Haus auf Sand gebaut hat. Da gingen Regengüsse nieder, Sturzbäche kamen, Winde wehten und schlugen gegen das Haus, und es stürzte ein, und sein Sturz war gewaltig.» (Neue Zürcher Bibel)
Heute geht es bequem mit einem kleinen Bus einige wenige Mal im Tag nach Stugl/Stuls, wo das Ende der Fahrstrasse ist. Das Dorf mit den alten Häusern im Engadinerstil mit grossen Toren, die sich auch nur teilweise öffnen lassen, liegt ruhig da – wie eine Oase am Ende der Welt. Immer noch werden Gemüsegärten angebaut, sind die Häuser mit Blumen geschmückt und hat es viele wunderbare Disteln.
In der Mitte des Dorfes steht der Brunnen, aus dem auch im Hochsommer viel Wasser fliesst und zur Erholung für Mensch und Tier einlädt.
Wer dann die steile Treppe hochsteigt, sieht zunächst leider nur noch teilweise die riesige Figur des Christophorus mit dem kleinen Kind auf der Schulter. Der kräftige Mann wollte nach der Legende nicht mehr irgendeinem Kriegsherrn dienen, sondern nur noch allein dem allergrössten Herrscher. Wer könnte dies sein? Diese Frage bewegte ihn lange. In dieser Zeit diente er an einer gefährlichen Furt als Träger. Eines Tages kam ein Kind zu ihm, das sich hinübertragen lassen wollte. Eine leichte Aufgabe, dachte sich der Mann. Doch je länger er trugt, umso schwerer wurde das Kind, bis er schliesslich unterzugehen drohte. Wer bist du denn? So fragte der Mann. "Ich bin Christus, der die Last dieser Welt trägt." Nun wusste er, wer der grösste Herrscher war. Von nun an war er der «Christophorus» - der «Christusträger».
Die Legende ist doppelt interessant. Zunächst ist es die Frage nach der höchsten Macht, dem allein zu dienen sich lohnt. Herrscher kommen und gehen, Christus aber bleibt als Felsen der Zeit und Ewigkeit. Dann ist es die Frage der persönlichen Berufung. Was ist meine Aufgabe in dieser Welt? Was und wer definieren sie mir?
Links neben dem Christusträger ist noch etwas vom Namensgeber der Kirche zu sehen, Johannes der Täufer. Auch er diente dem allerhöchsten Herrn und aucher am Wasser, wo sich viele Menschen durch Untertauchen taufen liessen, nachdem ihnen bewusst geworden war, dass sie bisher falschen Herren und Mächten gedient haben. Und auch zu Johannes kam dann einmal dieser Christus, bevor dieser seine Mission wahrzunehmen begann. Zuvor war seine Geschichte menschlich gewesen und uns nur ansatzweise bekannt –seine Geburt in schwierigen Umständen, sein Kindheit, später aufmüpfig auf dem Weg zum Erwachsenwerden, die tägliche Arbeit bei seinem Vater als Zimmermann.
Doch nun war seine Zeit gekommen, die entscheidenden drei Jahre, wo er seine eigentliche Berufung verfolgte, ebenfalls nach der Taufe als grundlegende Handlung, seiner Taufe. Mit dem Untertauchen im Wasser endet sein bisheriges Leben, mit dem Auftauchen kommt eine neue Zeit für ihn. Auch er wird die Menschen zur Umkehr aufrufen - zu einer spirituellen Transformation, die erst mit dem eigenen Tod zu Ende geht und sich in der Ewigkeit vollendet. Der neue Mensch als Ebenbild Gottes. Johannes hält Jesus bei der Taufe in den Händen. Im Unterschied zu den Evangelien ist nicht der Jordan zu sehen, sondern zuoberst ein Tor, das geöffnet ist und aus dem sich ein Schwall Wasser über Jesus. Über den Köpfen ist als Zeichen der Gegenwart Gottes und als Zusage des Heiligen Geistes eine grosse Taube zu sehen.
So sind die beiden riesengrosse Fresken tief miteinander verbunden mit letztlich derselben Botschaft.
Die Kirche wurde in der Zeit der Entstehung seiner Fresken war aussen und drinnen ganz ausgemalt. Den heutigen Chor gab es noch nicht. Auf der anderen Aussenseite sind noch Spuren einer Bemalung erkennbar. Dargestellt wurde der Heilige Georg als Drachentöter und damit verbunden die Botschaft: Der Mensch ist einfach nur ein Opfer von zahlreichen Gefahren. Es gilt, immer wieder zu kämpfen und siegen und er steht letztlich immer unter dem Schutz Gottes, auch in seinen persönlichen Niederlagen und Katastrophen
Raum und Decke
Beim Eintritt in die Kirche kommt kühle Luft entgegen, im Sommer eine Wohltat. Die Akustik ist ausgezeichnet und lädt zum leisen Singen ein – oder, wie wir es bei einem Besuch im Sommer 2022 erlebten, zum Musizieren ein. Ein wanderndes junges Paar tat es eindrücklich (Video).
Wer einen Gottesdienst erlebt, weiss sich wie in einer Familie geborgen. Alles ist sehr nah. Wer gerade allein ist, kann die Zeit für eine Meditation oder ein Gebet nutzen oder einfach die wohltuende Stille in sich zulassen. Im Chor liegt eine offene Bibel, so sich der Text als Inspiration lesen lässt.
Noch heute wird die Kirche für Gottesdienste im Rahmen der Gesamtkirchgemeinde Albula genutzt. Stugl nahm 1690 die Reformation an. Als Folge deren Bilderverbots, das ganz auf die Botschaft der jeweiligen Predigt hinlenken wollte und jede Ablenkung verhindern, wurde die Kirche ganz übermalt. Erst 1956 im Rahmen einer Gesamtrenovation wurden die bisher verdeckten Gemälde freigelegt. Die Fresken stammen von einem italienischen Meister aus der Schule des berühmten Giotto di Bondone und entstanden vermutlich 1360/70. Die Maler versuchten, ihre Meister aus Florenz nachzuahmen.
Christus und die vier Kirchenväter
Was auch sofort beim Eintreten auffällt, ist die Gestalt des über Zeit und Ewigkeit erhaben thronenden Christus. Die Botschaft: Du brauchst dich nicht zu fürchten. Alles steht in seinen Händen. Er, der wahrhafte Herrscher regiert, auch wenn du es gerade nicht erlebst, und wird am Ende der Zeit die grosse Gerechtigkeit mit seinem Richten erstellen.
Christus sitzt in einer grossen Mandorla (Mandel), die wie ein Ei aussieht mit verschiedenen Schalen aussieht - als Zeichen der Erwartung einer Neuschöpfung am Ende der Zeit. Christus erhebt seine Rechte zum Zeichen des Segens an jeden. In der linken Hand trägt er die Bibel mit der Botschaft "Ich bin das Wort des Lebens".
Um die Mandorla sind die vier Evangelisten zu sehen, die Schreiber der Evangelien. Sie werden dargestellt als Zwittergestalten aus geflügelten Wesen und den Köpfen ihrer Symbole: Die vier Wesen zeigten Christus majestätisch als „Löwen“ (Markus), priesterlich als „Stierkalb“ (Lukas), Mensch geworden im „Menschen“ (Matthäus) und Geist spendend als „Adler“ (Johannes).
Auf der Westseite sind zudem die vier Kirchenväter hinter Schreibpulten dargestellt: Es sind die wichtigsten Theologen aus frühchristlicher Zeit:
Der Heilige Ambrosius, geboren 340 in Trier, 374 Bischof von Mailand, gestorben 397 in Mailand. Legende: Als Baby in der Wiege flogen Bienen in seinen Mund und brachten Honig, ohne ihm jedoch zu schaden. Das ist auch ein Hinweis auf seine “honigsüße Rede”.
Der Heilige Augustinus, ,geboren 354 in Nubien (Oberägypten bei Assuan), gestorben 430 in Hippo in Nordafrika, dargestellt meist als Bischof, selten als Mönch. Seine Mutter war die Heilige Monika. Er gründete den Orden der Augustiner, in dem es um ein Zusammenleben der Priester nach einer bestimmten Regel geht.
Der Heilige Gregor der Grosse, geboren um 540, gestorben 604, Reformer der Kirchenmusik, auf den der “Gregorianische Choral” zurückgeht.
Der Heilige Hieronymus, geboren um 340, gestorben 420. In Kleinasien lebte er einige Zeit als Einsiedler in der Wüste. Es gibt zwei mögliche Darstellungen, entweder als büssender Einsiedler in der Wüste mit spärlicher Bekleidung oder als Kardinal (manchmal auch als Bischof), meist an einem Schreibpult sitzend.
Taufe und Passionsgeschichte
Die Fresken der Wände sind von der rechten Seite her und vorne zu sehen. Sie beginnen zunächst mit einer Darstellung der Legende der Bestattung Marias. Diese nicht biblisch bezeugte Handlung und des damit verbundenen Marienkultes als «Mutter Gottes» wurde von der Reformation mit ihrem Leitspruch «Zurück zu den Quellen», zum wahren Evangelien ohne legendenhafte Ausschmückung, abgelehnt. Anders aber die übrigen Fresken, die uns auch heute einen Zugang zum zentralen Teil der Evangelien ermöglichen.
Am Beginn steht die Taufe Christi, die bei beim Bussprediger Johannes am Jordan geschieht. Es war der Beginn des öffentlichen Auftretens von Jesus als Christus - seiner entscheidenden drei Jahre als Wanderprediger bis hin zu seiner Verurteilung am Kreuz und seiner unerwarteten Auferstehung.
Ursprünglich wurde die Taufe eines künftigen Christen an einem Gewässer vollzogen. Der Täufling, der sich nach reifer Überlegung für den christlichen Glauben entschieden hatte, wurde als Zeichen seines Abschiedes vom bisherigen Leben untergetaucht. Das Auftauchen bedeutete für ihn eine neue Existenz unter dem der Herrschaft Christi – die Verpflichtung zum Leben nach seinem Wort und seinem Vorbild auch in der Tat.
Das Auftauchen Jesu nach der Taufe bedeutete für ihn und für alle Christinnen und Christen die Zusage der Erfüllung mit der Gabe des Heiligen Geistes (dargestellt als Taube) und es war eine Stimme aus dem Himmel zu hören: «Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.» So etwa in Matthäus 3,17.
Nun folgt die eigentliche Passionsgeschichte, beginnend mit dem Abendmahl – dem letzten Mal Jesu, in dem Christus zusammen mit den Jüngern das jüdische Passahmahl zum Gedenken an die Befreiung aus der Knechtschaft in Ägypten feierte. Unerwartet deutete er dabei das Mahl auf sein kommendes Schicksal und seine grundlegenden Bedeutung für das christliche Leben (Lukas 14,14-20)
"Und als die Stunde kam, setzte er sich zu Tisch, und die Apostel mit ihm. 15 Und er sagte zu ihnen: Mich hat sehnlich verlangt, vor meinem Leiden mit euch dieses Passalamm zu essen. 16 Denn ich sage euch: Ich werde es nicht mehr essen, bis es seine Erfüllung findet im Reich Gottes. 17 Und er nahm einen Kelch, sprach das Dankgebet und sprach: Nehmt ihn und teilt ihn unter euch. 18 Denn ich sage euch: Von jetzt an werde ich von der Frucht des Weinstocks nicht mehr trinken, bis das Reich Gottes kommt. 19 Und er nahm Brot, sprach das Dankgebet, brach es und gab es ihnen und sprach: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Dies tut zu meinem Gedächtnis. 20 Und ebenso nahm er den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das vergossen wird für euch."
Sehr eindrücklich die Darstellung. Von den Jüngern sind nur zehn zu sehen. Zwei sind nicht erhalten geblieben. Es ist eine bunte Schar gegensätzlicher Charaktere und unterschiedlichem Alter. Der Tisch ist wie üblich beim Passahmahl mit den dazu bestimmten Gaben bedeckt. Es ist eine Momentaufnahme. Jesus hat gerade eine Prophetie ausgesprochen: «Einer von euch wird mich verraten.» Erschrocken fragen sich alle, wer es denn sei. Petrus, einer der drei Jünger, die Jesus am nächsten standen, sagt selbstsicher: «Ich nicht. Wenn alle dich verraten, ich sicher nicht.» Damit übernimmt er sich, was Jesus ihm auch sagt: «Bevor der Hahn am Morgen dreimal kräht, wirst du mich verleugnet haben.» Die Tatsache ist, dass alle der Situation nicht gewachsen sind. Die meisten flüchten, damit sie nicht auch noch verhaftet werden. Petrus verrät seinen Herrn. Einzig Johannes ist es, der Jesus bis ans Kreuz folgt und die unglaubliche Schande erträgt, wie elend Jesus am Kreuz hängt und stirbt.
In der wieder sehr lebendig gemalten Szene hat Jesus gerade gesagt, dass derjenige, der ihn verrät, derjenige isst, dem er als nächstes das Brot reicht. Es ist Judas, der gut zuerkennen ist. Er führte die Kasse der Gruppe und Jesus wusste dabei auch um seine Korruption: Er nahm Geld für sich weg. Für Geld verrät er schliesslich Jesus an seine Feinde, der damaligen religiösen Elite, die sich durch Jesus in ihrer Autorität hinterfragt und gleichzeitiger ihrer Unglaubwürdigkeit bedroht sah.
Die Botschaft ist vielfältig. Zunächst geht es um die grundlegende Bedeutung der Gemeinschaft. Christlicher Glaube kann sich nicht ohne andere entfalten. Der Mensch ist seit seiner Schöpfung zur Gemeinschaft bestimmt, obwohl das tägliche Zusammenleben oft schwierig ist, konfliktbeladen durch unterschiedliche Charaktere, die schwer auszuhalten sind, oder durch das Spiel, wenn sich jemand erhabener hält als andere. Zur Gemeinschaft gehört immer auch das Scheitern – und das nicht nur bei den anderen. Doch gerade das Abendmahl ist in seinem Kern ein Mahl der Versöhnung. In unserem Scheitern sind wir dennoch durch Christus getragen. Wir leben aus seiner Grosszügigkeit und sind in der Folge zur gegenseitigen Barmherzig bestimmt.
Im ersten Abendmahl erhalten die beiden Gaben, das Brot und den Wein. Auch der Verräter Judas ist eingeschlossen. Was er danach tut, das tut er letztlich im Zeichen der Vergebung durch Christus. Einer muss tun, was geschehen muss.
Was danach geschieht, ist der Verrat. Auch diese Szene ist sehr lebendig dargestellt: Mit einem Kuss tut es Jesus – welche Perversion. Und gleichzeitig greift gierig die Hand eines Soldaten zu Jesus, der verhaften will. Er kann nicht warten.
Die nächste Szene führt zu dem, was damals üblich war: Vor der Befragung durch das Gericht die Folterung Jesu als Geschäft der Soldaten. Jesus sitzt auf einem Thron wie ein König– wie zynisch und wahr zugleich, da er tatsächlich der wahre König ist. Einer schlägt ihn gerade auf den Kopf. Ein anderer ergreift seinen Bart, ein dritter verspottet ihn, indem er auf die Knie geht wie bei einem König. Die groben Sprüche der Soldaten lassen sich selbst denken.
Folterung und Blossstellung, das Geniessen von Macht und Gewalt: Die heutigen Kriege sind trotz Kriegsrecht nicht viel anders. In Abu Graib im Irak taten es US-Soldaten, wurden allerdings danach bestraft. Im Krieg in der Ukraine geschieht es durch die Verrohung in der russischen Armee.
Nach einem Scheinprozess mit falschen Zeugen folgt der Gang ans Kreuz, wo Jesus sein Kreuz selbst tragen muss. Soldaten bahnen ihm einen Weg durch das zahlreiche schaulustige Volk. Aber auch Johannes und dahinter Maria, die Mutter Jesu, sind zu sehen. Sie begleiten ihn auf seinem schweren Weg. Unmittelbar hinter Jesus steht ein junger Mann: Johannes von Cyrene im Norden Afrikas. Er war einer der vielen Gäste aus zahlreichen Völkern während des grossen Passahfestes in Jerusalem. Ein Mann, der totz nichtjüdischer Herkunft, sich ebenfalls als Gottesfürchtiger auf die Pilgerfahrt gemacht hatte. Er ist es, der später das Kreuz weitertragen wird auf Befehl eines Soldaten, nachdem Jesus zweimal zusammengebrochen war. Wer zunächst steht, wird einfach whrlos ergriffen.
Die Szene erschüttert jedes Gottesbild. Sollte Jesus tatsächlich der «Sohn Gottes», der ersehnte Messais des jüdischen Volkes gewesen sein, wie könnte denn so etwas geschehen? Weshalb benutzt er nicht seine Macht und entzieht sich mit einem Wunder? Weshalb lässt er das alles an sich geschehen?
Ist es deshalb, damit für die Menschheit deutlich wird, auf wessen Seite Gott steht? Auf der Seite derer in dieser Welt, die Unrecht erleiden, die verspottet und geschlagen, gefoltert werden? Gott also solidarisch mit allen, die leiden? Ein ohnmächtiger Gott und gleichzeitig gerade darin mächtig. Denn die Geschichte endet nicht mit dem Tod. Was danach geschieht, ist einmalig in der Geschichte: Die Auferstehung, an der nicht einmal die Jünger zu glauben wagten.
Wer Unrecht erleidet, wer auch "sein Kreuz zu tragen hat", wird erfahren, dass die Seligpreisungen Jesu zutreffen (Matthäus 5,3-12):
«Selig die Armen im Geist - ihnen gehört das Himmelreich.
Selig die Trauernden - sie werden getröstet werden.
Selig die Gewaltlosen - sie werden das Land erben.
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit - sie werden gesättigt werden.
Selig die Barmherzigen - sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Selig, die reinen Herzens sind - sie werden Gott schauen.
Selig, die Frieden stiften - sie werden Söhne und Töchter Gottes genannt werden.
Selig, die verfolgt sind um der Gerechtigkeit willen - ihnen gehört das Himmelreich.
Selig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und euch das Ärgste nachsagen um meinetwillen und dabei lügen.
Freut euch und frohlockt, denn euer Lohn im Himmel ist gross. Denn so haben sie auch die Propheten vor euch verfolgt.»
Nun also hängt Jesus am Kreuz. Es ist die schändlichste Strafe der römischen Justiz. Daneben sind wieder der Jünger Johannes und die Mutter Jesu zu sehen. Sie halten durch. Als einer der sieben letzten Worte Jesu wird uns berichtet: «Als nun Jesus die Mutter und den Jünger, den er liebte, neben ihr stehen sieht, sagt er zur Mutter: Frau, da ist dein Sohn.» (Johannes 19,26)
Jesus setzt ein unerhörtes Liebeszeichen gegenüber seiner Mutter, die das erfahren muss, was jede Mutter zerreisst: Ein Kind vor ihr sterben muss. Jesus sorgt damit auch für die Zukunft seiner Mutter und vertraut sie einem seiner treusten Freunde an.
Letzte Worte vor dem Sterben sind bedeutsam, überhaupt die Frage: «Wie geschieht es?» Was ist unsere persönliche Botschaft an die Nächsten von uns, wenn auch wir diese Welt verlassen?
Mit einem Schrei stirbt Jesu. Der Leichnam wird schliesslich auf Bitte eines wohlhabenden Mannes und Mitglied des jüdischen Hohen Rates von der römischen Verwaltung freigegeben. . Josef von Arimathäa war nicht dem dem einverstanden, was in den letzten Stunden durch den Rat geschehen war.
Das einzige, was er tun kann, ist, für ein würdiges Begräbnis zu sorgen inklusive dem üblichen Ritual der Einbalmasierung. Zudem stellt er sein eigenes, bereits gekauftes Felsengrab, zur Verfügung.
Josef von Arimathäa gehört dazu zu den wenigen im Laufe der Geschichte, die den Mut zur Dissens haben, einen ungerechten Entscheid beim Namen nennen und sich damit zu dem bekennen, was später sich zu dem entwickelte, was wir als grundlegende Werte einer westlichen Gesellschaft bezeichenen: die allgemeinen Menschenrechte.
«Und es war schon um die sechste Stunde, und eine Finsternis kam über das ganze Land bis zur neunten Stunde, und die Sonne verfinsterte sich; und der Vorhang im Tempel riss mitten entzwei. Und Jesus rief mit lauter Stimme: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist. Mit diesen Worten verschied er. Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sagte: Dieser Mensch war tatsächlich ein Gerechter! 48 Und alle, die sich zu diesem Schauspiel zusammengefunden und gesehen hatten, was da geschah, schlugen sich an die Brust und gingen nach Hause. Alle aber, die ihn kannten, standen in einiger Entfernung, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa gefolgt waren, und sahen alles.
Und da war ein Mann mit Namen Josef, der aus Arimatäa, einer jüdischen Stadt, stammte, ein guter und gerechter Mann, der auf das Reich Gottes wartete. Er war ein Mitglied des Hohen Rats, war aber mit dessen Beschluss und Vorgehen nicht einverstanden gewesen. Der ging zu Pilatus und bat um den Leichnam Jesu. Und er nahm ihn herab, wickelte ihn in ein Leinentuch und legte ihn in ein Felsengrab, in dem noch nie jemand beigesetzt worden war. Es war Rüsttag, und der Sabbat brach an. Und die Frauen, die mit ihm aus Galiläa gekommen waren, folgten ihm. Sie sahen das Grab und sahen, wie sein Leichnam beigesetzt wurde. Dann kehrten sie heim und bereiteten wohlriechende Öle und Salben zu. Und am Sabbat ruhten sie, wie das Gesetz es vorschreibt.» (Lukas 23,44-56)
Danke für einen Kommentar an den Autor
Kommentar schreiben