Der Geist der Unterscheidung am Beispiel Daniele Ganser – Historiker und Influencer
Bild: «Adam» - Aquarell von Danylo Movchan, Lwiw
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Kürzlich postete ich einen Beitrag über Daniele Ganser aus dem Forum «Threadreader», was auf Deutsch wohl etwa mit «Schwurbler» zu übersetzen wäre. Er wurde mir von einer befreundeten Person, einen Osteuropa-Historiker empfohlen. Hier die Übersetzung:
Beitrag "Threadreader"
«In der heutigen #vatniksoup stelle ich einen Schweizer Verschwörungstheoretiker und Autor vor, Daniele Ganser (@DanieleGanser). Er ist am besten bekannt für seine CIA/NATO-Verschwörungstheorien, für seinen rasenden Antiamerikanismus und für seine Unterstützung des Kremls im russisch-ukrainischen Krieg.
Zunächst wird darauf hingewiesen, dass die Doktorarbeit von Daniele Ganser als Historiker 2001 von der Universität Basel abgelehnt wurde. Seine These über den globalen Kampf um Öl wurde nicht angenommen, weil es zu "unwissenschaftlich" war. Im Jahr 2004 machte er aus seinem Dissertationsthema ein Buch mit dem Titel "NATO's Secret Armies".
In dem Buch wird behauptet, dass die geheime "Stay-behind"-Armee namens Gladio Terroranschläge unter falscher Flagge gegen Zivilisten in Italien inszenierte und dass diese Anschläge von der NATO und der CIA unterstützt wurden. Das Buch förderte allgemein einen wütenden Antiamerikanismus und stellte den Kreml in einem sehr positiven Licht dar. In dem Buch wird häufig auf das US Army Field Manual 30-31B verwiesen, ein Dokument, in dem streng geheime CIA-Taktiken zur Aufstandsbekämpfung erläutert werden und das weithin als eine Fälschung des KGB gilt.
Das Buch wurde allgemein als ein Werk der Fiktion betrachtet, und Professor Philip H.J. Davies erklärte beispielsweise, das Buch sei voll von eingebildeten Verschwörungen, übertriebenen Vorstellungen und Missverständnissen über verdeckte Operationen. Der Gelehrte Olav Riste sagte, dass Ganser "verdreht" habe... ... seine Forschungen zu diesem Thema an seine eigene Agenda anpasse.
Ganser wurde schließlich aus der akademischen Welt ausgeschlossen, nachdem er begonnen hatte, Verschwörungstheorien über die Anschläge vom 11. September zu verbreiten. Später verbreitete er aktiv Verschwörungstheorien über COVID-19. Ihm zufolge war die Pandemie von einer kleinen Elite geschaffen worden, um die Gesellschaft zu töten, zu kontrollieren und zu unterjochen. Er ist oft zu Gast beim russischen Propaganda-Sender "rt deutsch", die ihn gerne für sich vereinnahmt.
Daniele hat auch einen Kult um sich herum aufgebaut. Sie können seinem "inneren Kreis" für eine mickrige jährliche Zahlung von 365 EUR beitreten.
Er schloss sich der Gruppe an, und die Inhalte konzentrierten sich auf esoterische Themen wie den Körper-Geist-Dualismus und die perfekte Ordnung der Natur. Ganser ist Teil eines Kollektivs namens "The New Earth Manifest". Die Bewegung versucht, eine "bessere Welt" zu schaffen, die von der "Rat der Weisen", was bedeutet, dass es sich im Grunde um ein totalitäres System und/oder eine Sekte handelt, die von Daniele und seinen Kumpels regiert wird. Dieser Unsinn wurde bereits von mehr als 24 000 Menschen befürwortet.
Als kremlfreundlicher Propagandist fällt Ganser in die Kategorie "Putins Invasion ist illegal, ABER...", woraufhin in der Regel eine Litanei darüber folgt, dass es eigentlich der Westen war, der Putin zum Angriff auf die Ukraine gezwungen hat. Dieser Ansatz ist weit verbreitet und entstammt im Grunde genommen der akademischen Ansichten von John Mearsheimers Ansichten zu diesem Konflikt. Dieser Mythos von der NATO-Erweiterung auf die alten Warschauer-Pakt-Staaten bedroht irgendwie Putins Russland, obwohl Putin selbst gesagt hat, dass er "kein Problem" mit dem Beitritt Finnlands zur NATO hat, wodurch sich die NATO-Grenze zu Russland um etwa 1000 km verlängert.
Wie es bei ihm Tradition ist, bezieht er sich auf das nicht existierende Versprechen, die NATO nicht nach Osten zu erweitern, ein Versprechen, das laut Gorbatschow selbst nie gegeben wurde. Der Satz von der NATO-Erweiterung "keinen Zentimeter nach Osten" bezog sich übrigens auf die Erweiterung der NATO nach Ostdeutschland, nicht nach Osteuropa.
Später, 1993, bestätigte Jelzin, dass "eine mögliche Integration osteuropäischer Länder in die NATO nicht automatisch dazu führen wird, dass sich das Bündnis irgendwie gegen Russland wendet."
Daniele macht die USA für die Ereignisse verantwortlich, die 2014 in der Ukraine während der Revolution der Würde auf dem Maidan stattfanden. Er behauptet, dass es sich um einen "gewaltsamen Putsch" handelte, der von den USA inszeniert wurde.
Er hat sich auch gegen jegliche militärische Hilfe für die Ukraine ausgesprochen und gesagt, dass wir stattdessen "Verhandlungen und Deeskalation" brauchen. ‘Ich bin sicher, dass die Russen aufhören werden, in die Ukraine einzufallen und Zivilisten zu töten, sobald der Westen beschließt, die Lieferungen einzustellen.’
Nun, Ganser geht nicht wirklich auf die Ereignisse in der Ukraine ein. Er konzentriert sich nur auf die Gründe und seine revisionistische Geschichte des Konflikts.
Während einer seiner Live-Fragestunden "recherchierte" er das Massaker von Butscha, indem er Geschichten von "beiden Seiten" las, darunter "Der Spiegel", "RT deutsch" und "Anti-Spiegel" (ein kremlfreundliches Propagandamagazin von Thomas Röper). Überraschenderweise überzeugten ihn die Argumente der beiden letztgenannten, und er kam zu dem Schluss, dass es sich bei der Beschuldigung Russlands für Butscha tatsächlich um Fake News handelt.
Der Wissenschaftler Michael Butter nennt Danieles Gesprächsmethode die "Ganser-Methode". Ganser ist der stereotype Verschwörungstheoretiker, der vorgibt, nur Fragen zu stellen und zu spekulieren, der aber gleichzeitig implizit eine Verschwörungstheorie aufstellt.
Ganser gilt als "Star der deutschsprachigen Verschwörungsszene" und füllt oft große Säle voller Menschen, wodurch er allein durch den Kartenverkauf leicht über 10 000 EUR verdient. Außerdem tritt er oft auf alternativen Medienplattformen wie "Nachdenkseiten" und "KenFM" auf.
Laut Daniele hat er auch über 100 000 seiner Bücher verkauft. Zumindest für Daniel ist das Erzählen erfundener Geschichten ein lukratives Geschäft. Der Direktor des Instituts für Verteidigungspolitik der Universität Kiel, Joachim Krause, bezeichnete Ganser als "einen Verdummungsunternehmer, der seinen Lebensunterhalt damit verdient, die Gehirne der Menschen mit Verschwörungsfantasien zu verseuchen", was für mich ziemlich zutreffend klingt.
Ganser inszeniert sich gerne als Opfer der "Mainstream-Medien" und hat sich mit den Geschwistern Hans und Sophie Scholl verglichen, die Flugblätter mit Kritik am Nazi-Regime verteilten und schließlich durch die Guillotine hingerichtet wurden.
Der Vergleich ist natürlich lächerlich, denn Ganser lebt wahrscheinlich ein luxuriöses Leben in der Schweiz von all dem Geld, das er mit Lügen verdient hat.
Daniele ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie die Anti-Establishment-Position und Verschwörungstheorien sich gegenseitig unterstützen und ergänzen. Nicht selten glauben 9/11-Truther an COVID-19-Verschwörungen und Biowaffenlabore in der Ukraine - und der Kreml hat all diese Theorien effektiv verbreitet.»
Hier der Link zum Original:
Reaktionen
Nun, das ist «dicke Post». Damit setzte ich mich in die Nesseln und erhielt zwei Reaktionen von mir durchaus lieben Leuten:
«Hast du mal einen Vortrag von Ganser auf YouTube gesehen? Man muss nicht alles glauben…
aber ich wurde von klein auf gelehrt, bei einem Konflikt immer beide Seiten anzuhören, bzw. beide Perspektiven zur Kenntnis zu nehmen. Und sich nicht zu schnell einzumischen. ‘Prüfet alles, das Gute behaltet.’
Leider ist das immer weniger möglich, sogar in ‚freien‘ Ländern wie der Schweiz. Egal ob Coronapolitik, Klimapolitik, Ukrainekrieg … der Verstand wird immer mehr ausgeschaltet, zum Schaden für die Ärmsten der Welt.
Propaganda gibt es in jedem Krieg - auf beiden Seiten. Und täglich sterben weiter unnötig va junge Menschen auf beiden Seiten, angeblich für die Freiheit. Und machen damit Frieden und Versöhnung immer noch schwieriger. Schade 🙏»
«Daniele Ganser wie auch Roger Köppel haben den Mut zur Wahrheit. Nichts könnte mich vom Gegenteil überzeugen. Rein gar nichts!!!»
Ich schrieb zunächst in meiner Emotion eine erste Reaktion, löschte schliesslich aber den ganzen Post und schrieb den Betroffenen, dass das Thema meinerseits eine nähere Betrachtung verdient. Daran hatte ich schon länger gedacht. Was ich zuvor sagen kann, dass ich während der Zeit der Corona-Krise mir einmal einen ganzen Vortrag von Daniele Ganser auf Youtube ansah, mich einiges aber befremdete. Mir schien die durchaus berechtigte Kritik am harten Vorgehen vieler Regierungen auch zu weit zu gehen, ebenso die Impfempfehlung auch für Kinder und junge Leute.
Auf Daniele Ganser wurde ich erst kürzlich wieder aufmerksam im Blick auf seine Stellung zum Krieg in der Ukraine. Auf diesem Gebiet bin ich sehr sensibel – und, was wohl allgemein bekannt ist, ein Freund der Ukraine.
Meine besondere Beziehung zur Ukraine
Ich wollte das Land schon länger entdecken – noch in der Zeit, als es für die meisten bei uns ein «leerer Flecken» auf der Landkarte war. 2017 war ich schliesslich eine Woche in Lwiw/Lemberg in der Westukraine und kehrte voller Eindrücke zurück.
Zunächst war es eine spezielle Erfahrung, die ich Gott zuschreibe. Ich hatte mir vorgenommen, mich nach einer Ikone in einer modernen Interpretation umzusehen und etwas zu kaufen. Bereits zuvor fand ich im Internet die Adresse der kleinen Galerie «IconArt» im Zentrum der Altstadt. Als ich dort eintrat und mich mit meiner Frau umzusehen begann, musste ich in Bruchteilen von Sekunden, welcher Bild zu mir gehört. Mir kam dabei der zweite Teil eines Traumes entgegen, den ich in der Nacht hatte, bevor ich mich entscheiden musste, ob ich mich wirklich in meiner depressiven Episode behandeln lassen will und mich ganz krankschreiben lasse. Mir kam im Traum ein Mann entgegen, der mir die Füsse waschen wollte. Genau diese Szene ist sehr eindrücklich und unerhört tief die Geschichte der Fusswaschung Jesu an seinen Jüngern vor dem Abendmahl dargestellt.
Mehr dazu und zum Besuch in Lemberg:
https://www.max-hartmann.ch/2022/05/04/ostap-lozinskji/
https://www.max-hartmann.ch/2022/04/02/lemberg-im-fr%C3%BChling-2017-ein-land-im-kriegszustand/ (Mit sehr eindrücklichen Bildern über Kriegsopfer des Konflikts im Donbass).
Seither bin ich verbunden mit dem polnischen Kurator der Initiative «Nowa Ikona», in dessen Workshop in den Karpaten das Bild entstand. Und auch mit dem Künstlerehepaar Danylo und Yaryna Movchan in Lwiw. Danylo malte und malt weiter Aquarelle zum Krieg und verarbeitet dabei, was er erlebt. Der junge Journalist Ilir Pinto hat kürzlich darüber in seinem Blog einen Beitrag verfasst:
https://ilirpinto.com/2023/05/31/danylo-movchan/
Dann gibt es noch eine zweite Geschichte, die meine Beziehung zur Ukraine prägt. Ich lass die englische Übersetzung der Memoiren des sowjet-ukrainischen Dissidenten Myroslaw Marynowytsch, «The Universe Behind the barbed Wire», die mich enorm bewegte. Spontan entschied ich, dass ich dem Verfasser ein Feedback schreibe inklusive der Anregung, das Buch auf Deutsch zu veröffentlichen. Ich erhielt dann von Myroslaw die Antwort, dass es bereits eine Übersetzung gäbe, sie aber so bearbeitet werden müsste, damit ein Verlag es übernimmt. Und wieder spontan – wobei ich es als Wirken des Heiligen Geistes empfinde – bot ich ihm an, es zu versuchen. Er müsste mir einfach zuerst ein Einblick verschaffen, damit ich es beurteilen kann. Bald danach hatte ich den Einblick und machte mich an die Arbeit, war allerdings ziemlich naiv, welchen Aufwand damit verbunden sein wird.
Seither bin ich in regelmässigem Kontakt mit Myroslaw und lese auch, was er rund um seine Meinung zum Krieg veröffentlicht.
Das andere war dann die Frage nach einem Verlag. Ich bin ein «Nobody» in dieser Szene, verfüge auch nicht über einen hilfreichen Doktortitel und mehrere weitum bekannte Veröffentlichungen und habe auch kein «Vitamin B». Ich las zuvor zwei Werke aus der Reihe «Ukrainian Voices» des ibidem Verlags und dachte, es könnte dorthin passen. Ich fand auch die Mailadresse der zuständigen Person. Und siehe da: Der Mann antwortete bereits nach wenigen Stunden und schrieb mir, es sei ihm eine Ehre, dieses Buch veröffentlichen zu können. Er kenne zudem Myroslaw Marynowytsch persönlich. War auch das wieder ein Zeichen Gottes?
Christliche Ethik im Umgang mit anderen Meinungen
Sie ist mir sehr wichtig. Ich möchte mich nicht einfach in einer «Blase» bewegen, wo wir uns gegenseitig bloss bestätigen und über andere, die eine andere Meinung haben, billig herfahren.
Mein erster Freund hat völlig recht: «Prüfet alles, das Gute behaltet.» So sagt es Paulus sehr weise in seinem ersten Brief an die Thessalonicher. Derselbe Paulus sagt dann im 12. Kapitel seines ersten Briefes an die Korinther im Blick auf unser Thema:
«Dem einen nämlich wird durch den Geist die Weisheitsrede gegeben, dem anderen aber die Erkenntnisrede gemäss demselben Geist; … , wieder einem anderen prophetische Rede und noch einem anderen die Unterscheidung der Geister. … Dies alles aber wirkt ein und derselbe Geist, der jedem auf besondere Weise zuteilt, wie er es will.»
Tatsächlich benötigen wir diesen «Geist der Weisheit und Unterscheidung». Nicht alle haben ihn im gleichen Masse. Und können wir voneinander profitieren. Andere haben anderes. - Im Folgenden möchte ich mich um diesen «Geist der Unterscheidung» bemühen – was meine Einschätzung von Daniele Ganser betrifft.
Die zwei Seiten meiner ersten Eindrücke
In den Vorträgen von Daniele Ganser und in einem Interview mit ihm kommt mir ein Mann entgegen,
- Der sehr eloquent ist, verständlich und geschickt formulieren kann
- Der sehr engagiert ist, eine Message und eine Mission hat
- Vieles leuchtet einem mindestens auf den ersten Blick ein
- Er zieht sehr viele an, spricht viele an, wie aus dem Herzen
- Er stellt geschickte Fragen, lässt die Leute antworten, ihn bestätigen und verteilt auch rote Karten für das, was für ihn nicht geht
- Er bietet eine Alternative zu dem, was die meisten anderen sagen, widerspricht einem «Mainstream» und ist damit auch unbequem
Meine Bedenken:
- Manipuliert er?
- Stimmt das tatsächlich, was er sagt? Wie kann ich das beurteilen?
- Was sagt er nicht, müsste er aber auch sagen?
- In meiner Einschätzung begegnet mir bei ihm ein Mix zwischen Wahrheiten, Halbwahrheiten, Verdrehungen und Falschausaagen bis hin zu «Verschwörungstheorien»
- Bereichert er sich, sonnt sich in seinem Erfolg?
- Ist er letztlich ein Teil der russischen Propaganda, gerne von «RT deutsch» benutzt?
- Ist er ein «Rattenfänger in Hameln», der viele verführt?
Das Interview von Roman Zeller mit Daniele Ganser in «Daily» der «Weltwoche»
Zu einer fairen Auseinandersetzung mit anderen Meinungen gehört, die Meinung des anderen anzuhören und nicht nur nachzusagen, was seine Kritiker so sagen und schreiben. Also versuche ich es, im Bewusstsein, dass ich mir dabei die Finger verbrennen könnte. Im Unterschied zu Daniele Ganser verteile ich keine «roten Karten», bei mir leuchten aber «rote Lämpchen».
Das Gespräch der «Weltwoche» fand statt im Volkshaus Zürich während des zweitätigen Kongresses «Vision des Guten und das Manifest der neuen Erde», in dem zwei Dutzend Personen aus der Esoterikszene auftraten, was meine Nachforschungen bestätigen (Steffen Lohrer etwa bietet «Heilung & Transformation & regelmässige Heilmeditation» auf seiner Homepage an. Er ist Yoga-Lehrer, hat eine Ausbildung in Medialität und Intuition und mehrere Ausbildungen in Energie-Medizin). Ein einzelner Event kostete CHF 189.-, der ganze Kongress CHF 777.-
Das Umfeld, in dem Daniele Ganser spricht, ist eindeutig das Milieu der Esoterik mit Angeboten, die Hohes versprechen. Die Preise der Vorträge sind entsprechend hoch, die Zahl 777 als Preis für den ganzen Anlass erscheint mir als Anspielung auf biblische Apokalyptik, wobei der christliche Glaube keineswegs das Fundament der Referenten ist. Auch das Thema des ganzen Kongresses und besonders das «Manifest der neuen Erde» sind Anspielung auf die beiden letzten Kapitel der Bibel, Offenbarung 21-22, wo von der «neuen Erde» die Sprache, in der es kein Leid, Geschrei und den Tod mehr geben wird. Gott greift am Ende der Geschichte ein und schenkt wahrhafte Vollendung. Im Unterschied dazu verlegt der Kongress das Endgültige auf die Gegenwart, verspricht eine hier eine kommende «heile Welt», für die es den biblischen Gott nicht benötigt, allenfalls ein undefinierbares «Göttliches». Je höher jemand seine Versprechungen legt, um so tiefer wird sich meiner Meinung die Enttäuschung früher oder später melden. Daniele Ganser arbeitet mit diesen Kreisen zusammen. Auch das ist ein Bekenntnis. Was hat an einem solchen Kongress ein seriöser Historiker eigentlich zu suchen?
Zunächst spricht der wohlwollende Journalist Ganser zur Kritik der Medien, die im Voraus von einer «verschwörerischen und dubiosen Veranstaltung» sprachen. Damit kommt Ganser sofort und mit einem hohen Tempo zum Thema Krieg, indem er verschiedene frühere Kriege kritisiert und spricht schliesslich besonders vom Krieg in der Ukraine, aber auch über sämtliche Kriege der USA, da sie als Grossmacht seit 1945 am meisten Kriege geführt hat und Länder bambardierte (Vietnam, Irak, Kambodscha, Serbien), 1953 im Iran die Regierung stürzte, wie auch in Guatemala. Afghanistan, Lybien und Syrien sind für ihn weitere Opfer der USA. Er befasst sich vorwiegend mit dem US-Imperialismus. Er ist überzeugt, dass die Amerikaner 2014 in der Ukraine auf dem Kyjiwer Maidan einen Putsch initiert haben. Obama und Biden sind für ihn dafür verantwortlich, auch für die Scharfschützen, die damals von Dächern 100 Leute getötet haben. Er bleibt auch dabei, die USA haben den damaligen Präsidenten der Ukraine gestürzt (der in einem üppig-kitschigen Palast mit vergoldeten Wasserhähnen lebte, und sein Versprechen an das Volk, das Land in die EU zu führen, brach - was aber Ganser nicht erwähnt).
Ist es wahr, dass die USA nach dem Zweiten Weltkrieg am meisten Kriege geführt hat? Oberflächlich erscheint es so und es war es vielleicht auch so, und viele dieser Kriege waren meines Erachtens ein Fehler, besonders in Vietnam und in Irak. Mit keinem Wort erwähnt aber Ganser die Kriege Russlands: Die Zeit der sowjetischen Besatzung von Afghanistan, die-Einsätze der russischen Privatarmee «Wagner» (sie heisst entsprechend dem deutschen nationalistisch-antisemitischen Komponisten Richard Wagner, der der Lieblingskomponist von Hitler war) mit ihrem äusserst brutalen Vorgehen zunächst im Donbass, in Libyen und in Mali und anderen Staaten, die Besetzung von Abchasien und Südossetien als Staatsgebiete Georgiens, den Kurzkrieg gegen Georgien, die Zusammenarbeit mit dem islamistischen Iran, die brutalen Bombardierungen in Syrien mit unzähligen Zivilopfern, das Faktum, dass Assad nicht gestürzt werden konnte trotz seiner Verbrechen, die Lage der Menschenrechte in Russland, die Flucht vieler Russen ins Ausland, die Morde an Oppositionellen, der Fall Nawalny, die Schliessung von Memorial (Einrichtung zum Gedenken an die Opfer des Kommunismus), überhaupt die Nicht-Aufarbeitung der Verbrechen des Kommunismus. Das sind riesige Kapitel, die er schlicht verschweigt. Ebenso der Einfluss von Russland in Venezuela, die zu einer grossen Fluchtwelle führte. Nichts zu hören ist zudem, wie sehr Mittel- und Osteuropa unter der Sowjetunion nach 1945 litten und weshalb diese Länder nach 1989 unbedingt in die EU und NATO wollten, damit diese Staaten gesichert sind, falls Russland sie erneut beherrschen will.
Die nächste Frage: «Sie sind auch Friedensforscher. Was war der Auslöser für Ihre Einschätzungen?
Ganser nennt die Kuba-Krise, was fast einen dritten Weltkrieg ausgelöst hätte. Damals stationierte die Sowjetunion Atomraketen. Kennedyreagiert mit einem Kriegsakt, umzingelt die Insel. Die CIA löste die Krise aus, weil sie Fidel Castro 1961 stürzen wollte, was die Lehrbücher verschweigen. Kuba wurde vor Castro von den amerikanischen Grosskonzernen ausgebeutet.
Überraschend tritt Ganser wie ein Linker auf, der den Kapitalismus abschaffen und für die Armen Gerechtigkeit und Frieden schaffen will. Weshalb ist er aber in manchen sehr rechten Kreisen heute so beliebt? Später sagt er doch noch, dass es ein Fehler der Sowjetunion war, die Atomwaffen zu stationieren.
Der Krieg ist für ihn eine Zeitenwende. 30 Jahren waren wir durch die einzige Grossmacht USA in einer unipolaren Welt, das wendet sich nun.
Das ist schlicht ein Faktum für alle. Wobei die Wende schon vor dem Krieg begann, mit der zunehmenden Machtentfaltung Chinas mit Xi. Unsicher ist wohl auch, wer die Oberherrschaft in der neuen biopolaren Welt hat, die sich kräftig aufrüstet. Das könnte China statt Russland sein, das über eine bedeutend vielfältigere Wirtschaft verfügt.
Der Krieg ist wie der Putsch 2014 von den USA und der NATO organisiert. Russland will sicher nicht, dass die NATO und die EU die Ukraine bestimmen und damit an die russische Grenze rücken. Die USA nutzen die Ukrainer letztlich für ihre eigenen Zwecke aus. Das mit den «Westlichen Werten» stimmt auch nicht, ist unglaubwürdig.
Das erweckt das russische Bild, dass die Ukrainer eigentlich kein eigenes Volk sind oder wenn schon, ein unfähiges Volk. Da irrt sich Putin. Er rechnete nicht mit dem erbitterten Widerstand der Ukrainer, inklusive der russischen Bevölkerung, die sich mehrheitlich nicht als unterdrückt betrachten und sehr solidarisierten. Ein Beispiel ist der eigentlich russischsprachige Autor und Rockmusiker Serhij Zhadan, der eine sehr bewegende Rede heilt nach seiner Ehrung durch den Preis des deutschen Buchhandels in Frankfurt hin. (Siehe: Serhij Zhadan: Rede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels - Blog Max Hartmann (max-hartmann.ch)
Ganser verkennt den freien Willen der Ukrainer, ein Teil des Westens zu sein. Die Proteste am Maidan entstanden, weil der damalige ukrainische Präsident dem Volk in einer Abstimmung versprochen hatte, dass er den Vertrag zur Verhandlung mit der EU unterschreibt. Im letzten Moment stoppte ihn Putin. Die Ukrainer sind nicht einfach billige Marionetten der USA und der EU. Der Vorwurf der Glaubwürdigkeit der westlichen Werte im Westen selbst dagegen hat etwas für sich, aber darüber wird reich und offen kontrovers bei uns diskutiert.
Putins Fehler ist der Angriffskrieg aber auch aus der Sicht von Daniele Ganser, aber er war vom Westen provoziert, und ist gefährlich. Wenn Russland sich zurückzieht, kann es dazu kommen, dass ein Atomangriff möglich ist.
Die russischsprachige Bevölkerung der Ukraine beurteilt den Krieg anders. Selenskyj ist kein Held, er hat sein eigenes Volk im Donbass bombardiet und die Minsker Abkommen nicht eingehalten.
Siehe die Bemerkung oben.
Zu Minsk I und den Bruch des Abkommens schreibt die Wikipedia: «OSZE-Beobachter berichteten von einem „Anstieg der Spannungen“ nach dem Neujahrstag. Es wurden zahlreiche Waffenstillstandsverletzungen registriert, die meisten davon in der Nähe des internationalen Flughafens Donezk. In der Oblast Luhansk kam es zu Machtkämpfen zwischen aufständischen Gruppen. Kämpfer der Volksrepublik Lugansk sagten aus, sie hätten Alexander Bednow, Pseudonym „Batman“, Anführer der von Russland kontrollierten „Batman-Bataillons“ am 2. Januar 2015 getötet. Bednow habe ein „illegales Gefängnis“ geführt und Gefangene gefoltert.
Nikolai Kozitsyn, Anführer einer in Antrazyt ansässigen militanten Don-Kosaken-Gruppe, sagte, dass das von seiner Gruppe kontrollierte Gebiet, das von der Volksrepublik Lugansk beansprucht wird, Teil des „Russischen Reiches“ geworden sei und dass der russische Präsident Wladimir Putin sein „Kaiser“ wäre. Ein Überlandbus, der an einem Regierungskontrollpunkt in Buhas, liegt 35 Kilometer südwestlich der Stadt Donezk, hielt, wurde am 13. Januar von einer Grad-Rakete getroffen, wobei 12 Zivilisten getötet wurden. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko erklärte einen Tag der Staatstrauer. Heftige Kämpfe fanden in der gesamten Konfliktzone, darunter am internationalen Flughafen Donezk und in Debalzewe, statt.»
Das widerspricht der Sicht von Daniele Ganser. Nach Minsk II kam es wieder zu Verletzungen, zuerst von regierungsfeindlichen Truppen, dann auch von ukrainischer Seite. Das wurde von den Beobachtern der OSZE bestätigt. (Wikipedia)
Wie soll die Zukunft aussehen? Es muss verhandelt werden und die Ukraine neutral bleiben.
Es gibt genau zwei Punkte, in denen ich mit Daniele Ganser einig bin: Putins Krieg ist ein Fehler. Es muss irgendwann wirklich verhandelt werden.
Relinfo zu Daniele Ganser
Auch die reformierte Informationsstelle Kirchen – Sekten – Religionen widmet sich in einem Beitrag dem Thema Daniele Ganser. Unter anderem informiert sie, dass Daniele Gansers wissenschaftliche Karriere endete, als er «öffentlich die offizielle Version der Bush-Regierung zu den Terroranschlägen am 11. September 2001 auf das World Trade Center (9/11) in Frage stellte.» Zum seinem Publikum schreibt sie: «In Gansers Publikum lassen sich viele Verschwörungstheoretiker und -theoretikerinnen, sowie Menschen aus dem rechtspopulistischen und links-esoterischen Lager finden.»
Und unter «Kontroversen» ist zu lesen: «Kritisiert werden zudem seine verwendeten Quellen. Die in seinen Büchern enthaltenen Aussagen werden teilweise mit ernsthaften Quellen belegt. Oftmals bezieht er sich jedoch auf «Alternativmedien» wie die Zeitschrift «Zeit-Fragen» des früheren VPM oder Bücher aus dem Kopp Verlag, in welchen sich oftmals unterschwelliger Antisemitismus und rechtsextreme Positionen finden lassen.
Ganser selbst ist nie durch rassistische oder antisemitische Äusserungen aufgefallen. Dass er aber kein Problem damit hat, vor entsprechendem Publikum zu sprechen oder bei Veranstaltungen gemeinsam mit Rednern und Rednerinnen aufzutreten, die durch solche Positionen aufgefallen sind, wird ebenfalls von verschiedenen Seiten kritisiert. Ein Beispiel dafür ist sein Vortrag bei der «Anti-Zensur-Koalition» von Ivo Sasek im Juli 2014, wo zuvor mehrere Holocaustleugner aufgetreten waren.»
Beurteilung
Nach all dem überlasse ich die Beurteilung den Lesenden.
Fake News erkennen
https://www.max-hartmann.ch/2023/05/25/fake-news-erkennen/
Dokument «Die Wahrheit, die frei macht»
https://www.max-hartmann.ch/2023/06/19/was-ist-wahrheit/
Aquarelle zum Krieg vom Ikonenmaler Danylo Movchan in Lwiw
https://www.max-hartmann.ch/2022/04/05/der-krieg-in-bildern-von-danylo-movchan/
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