· 

Das Kreuz mit dem Kreuz

Das Kreuz mit dem Kreuz

Gedanken  zu Karfreitag von Max Hartmann

 

Paulus schreibt dazu in seinem ersten Brief an die Korinther gleich zu Beginn:

 

«Denn das Wort vom Kreuz ist Torheit für die, die verloren gehen, für die aber, die gerettet werden, für uns, ist es Gottes Kraft. Es steht nämlich geschrieben: Zunichte machen werde ich die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen werde ich verwerfen. Wo bleibt da ein Weiser? Wo ein Schriftgelehrter? Wo ein Wortführer dieser Weltzeit? Hat Gott nicht die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?

 

Denn da die Welt, umgeben von Gottes Weisheit, auf dem Weg der Weisheit Gott nicht erkannte, gefiel es Gott, durch die Torheit der Verkündigung jene zu retten, die glauben. Denn das Törichte Gottes ist weiser als die Menschen, und das Schwache Gottes ist stärker als die Menschen.»

 

Manch einer in unserer westlichen Gesellschaft, hat Mühe, die blutige Tatsache zu verstehen, dass Jesus am Kreuz verstarb. Und schon gar nicht, dass dieses Geschehen auch für ihn eine existentielle Bedeutung haben könnte.

 

Ein Gott, der am Kreuz stirbt? Die römische Gesellschaft machte sich darüber lustig.

 

«Im Jahr 1856 machten Archäologen auf dem Hügel Palatin in Rom nach der Entfernung von Trümmerschutt eine sowohl seltsame als auch sensationelle Entdeckung. Sie stießen bei Ausgrabungen eines ehemaligen Wachlokals für Soldaten auf eine Kritzelei an einer Wand, ein Graffiti, das wohl mit einem Nagel oder einem Messer in den Wandverputz eingeritzt worden war. Und sie erkannten eine Kreuzesdarstellung aus dem frühen zweiten Jahrhundert (ca. 125 n. Chr.).

 

Noch mehr staunten sie als sie bemerkten, dass die Figur am Kreuz mit einem Eselskopf dargestellt ist. Daneben steht ein junger Mann, der zum Gekreuzigten mit dem Eselskopf aufblickt und grüßend, betend die Hand zu ihm erhebt. Darunter steht mit ungelenken Buchstaben in griechischer Sprache geschrieben: „Alexamenos sebete theon“, zu deutsch: „Alexamenos betet (seinen) Gott an“Diese in Stein geritzte Karikatur, dieses „Spottkreuz“, ist die älteste bildliche Darstellung des Gekreuzigten, die wir kennen.

 

Für Menschen, die sich ihre Götter als kraftvoll, mächtig, stolz und unbesiegbar vorstellten, war der Gottessohn, an den die Christen glaubten, blanker Unsinn, eine Eselei, eine Zumutung, eine Figur, über die man mitsamt ihren Verehrern nur spotten konnte.

 

Ein Gott, der sich kreuzigen lässt: was für ein Esel! Und noch ein größerer Esel, wer an einen solchen Gott glaubt! Mit diesem Graffiti sollte der Glaube des Alexamenos, der Glaube der Christen, lächerlich gemacht werden. Christus am Kreuz, was für ein lächerlicher Gott, total schwach und ohnmächtig, ein „Esel“ eben.» (aus: https://www.pius-kirchgessner.de/05_Predigten/B_Karwoche)

 

Im Kontrast stehen dazu die vielen Kreuze, die als Schmuck getragen werden: Goldene, silberne, kleine, grosse, Modeschmuck oder auch künstlerisch wertvoll hergestellt.

 

Damit ist aber keineswegs immer ein bewusstes christliches Bekenntnis verbunden. Oft ist es «nur» ein hübscher Schmuck. Oder gibt es unterschwellig doch etwas, was anspricht?

 

Wie das mit dem Kreuz war und ist, begegnet mir in einer Fotografie des jungen ukrainischen Künstlers Yury Boyko. Sie ist gegenwärtig in einer Ausstellung in Warschau zu sehen:

 

«Ukraine - unter einem anderen Himmel: Die Ukraine kämpft seit zehn Monaten gegen russische Barbaren. In der Ausstellung 'Ukraine - unter einem anderen Himmel' zeigen wir Werke ukrainischer Künstler, die ihre Antwort auf die russische Aggression darstellen. Die Zeit der militärischen Versklavung erwies sich für sie als Moment der künstlerischen Erleuchtung. Nach dem 24. Februar 2022 sahen sich die Künstler, die in verschiedenen Medien arbeiten, mit der Notwendigkeit konfrontiert, die tragischen Ereignisse zu verewigen. Die in der Ausstellung präsentierten Kunstwerke schildern die Gräueltaten der russischen Besatzer und versuchen, das Gewissen der Öffentlichkeit in aller Welt zu erreichen. Dies ist die größte Ausstellung zeitgenössischer ukrainischer Kunst, die die Reaktion der Künstler auf den Krieg und den barbarischen Angriff Russlands widerspiegelt - sie umfasst mehr als zweihundert Werke von zweiunddreißig Künstlern.»

 

Die Fotografie spricht mehr als viele Worte. Die Brust eines Mannes, auf der Blut fliesst. Und darüber das Kreuz mit Christus.

 

Ja, damals floss Blut. Es war ein grausamer Tod. Der Anblick kaum zum Aushalten. Die meisten Jünger Jesu flohen dafür. Unter dem Kreuz waren nur Maria, die Mutter von Jesus, und eine andere Maria, eine Nachfolgerin Jesu. Und die beiden Jünger Petrus und Johannes.

 

Und die Soldaten, die nach dem Verrichten der Strafe der Kreuzigung das Geschehen bis zum brutalen Ende beobachten.

 

Und zahlreiche Spötter und Gaffer aus der Distanz. Soll er doch vom Kreuz heruntersteigen, wenn er der Sohn Gottes ist.

 

Doch Jesus tut es nicht. Er stirbt elend.

 

Gerade dieser Tod ist in ihrer Grausamkeit die Botschaft der Stärke Gottes. Denn es war nicht das Ende.

 

Was sich menschlich nicht erfassen lässt, geschah dann aber: Die Auferstehung. Man kann sie als Fantasie einiger Verrückter ansehen oder als eine raffinierte Behauptung ohne wirklichen Hintergrund.

 

Wäre dann der Spuk nicht bald aufgeflogen? Zu gerne hätten die Gegner des neuen Glaubens und auch der römischen Behörden die Leiche des Verstorbenen präsentiert. Das Grab wurde sogar bewacht.

 

Nicht einmal die Jünger glaubten daran, sie mussten davon überzeugt werden. Thomas meinte, dass er erst daran glaubt, wenn er es sieht. Er konnte es sehen und sogar seine Hände in die Wunden legen, die am auferstandenen Jesus noch zu sehen waren.

 

Falls die Geschichte eine raffinierte Erfindung gewesen wäre, wären dann bald danach Christen in den Tod gegangen, da sie als Sekte hart verfolgt wurden? Wäre es dann zur raschen Ausbreitung des neuen Glaubens im römischen Reich gekommen? Niemand stirbt freiwillig einfach so – und schon gar nicht für einen Schwindel.

 

Der elende Tod am Kreuz hat auch eine tiefe existentielle Bedeutung. Wenn ausgerechnet Gott sich darin uns präsentiert, dann handelt es sich um einen Gott, der wahrhaft weiss, was Unrecht und Leiden bedeutet. Nicht nur damals als Resultat eines Scheinprozesses.

 

Bis heute wiederholt sich diese Geschichte: Unrechte Gerichte, Beseitigung von unbequemen Personen, die die Wahrheit zu sagen wagen. Bis hin zu Völkern und zahllosen Menschen, die zu Opfern von Kriegen herrschsüchtiger Tyrannen werden.

 

Und es gibt noch viel mehr Leiden: Auch das Leiden durch grausame Krankheiten, enttäuschte Liebe und Zustände, wo wir ohne eine Antwort zu finden uns fragen: «Warum?».

 

Am Kreuz solidarisiert Gott sich mit uns. Eine befriedigende Antwort gibt Gott uns nicht. Und dennoch eine äusserst starke Antwort gerade in seiner scheinbaren Schwäche.

 

Mein Freund Danylo Movchan malt seit Beginn des Überfalls Russlands Bilder zum Krieg und gibt so uns Anteil, was ihn bewegt.

 

Heute teilt er auch Worte zu einem seiner Bilder. Es ist ein Zitat des englischen Theologen und Pfarrers John R. W. Stott – einer der wichtigsten Stimmen der evangelikalen Bewegung (es gibt in dieser Bewegung nicht nur fragwürdige Erscheinungen wie etwa diese «Christen», die die Wahl von Donald Trump ermöglicht haben und ihn bis heute verteidigen und die Abwahl als Fälschung bezeichnen – sehr zur Freude der russischen Propaganda, die nachweislich Einfluss auf die Wahl von Trump ausübte, um damit die amerikanische Gesellschaft zu teilen und zu schwächen).

 

Stott schreibt:

"Ich könnte selbst nie an Gott glauben, wenn es nicht das Kreuz wäre. "Der einzige Gott, an den ich glaube, ist derjenige, der von Nietzsche als 'Gott am Kreuz verspottet wird.' Doch wie kann man in der realen Welt des Schmerzes einen Gott anbeten, der dagegen immun war?

 

Ich habe viele buddhistische Tempel in verschiedenen asiatischen Ländern betreten und stand respektvoll vor der Statue des Buddha, seine Beine gekreuzt, die Arme gefaltet, die Augen geschlossen, der Geist eines Lächelns, das um seinen Mund spielt, ein ferner Blick auf sein Gesicht, losgelöst von den Qualen der Menschheit.

 

Aber jedes Mal nach einer Weile musste ich mich abwenden. Und in der Fantasie habe ich mich stattdessen dieser einsamen, verdrehten, gequälten Gestalt am Kreuz zugewendet, Nägel durch Hände und Füße, Rücken zerrissen, Glieder zerrissen, Stirnbrauen aus Dornenstücken, Mund trocken und unerträglich durstig, in gottverlassene Dunkel Das ist der Gott für mich!

 

Goll legte seine Immunität gegen Schmerzen beiseite. Er betrat unsere Welt aus Fleisch und Blut, Tränen und Tod. Er hat für uns gelitten. Unsere Leiden werden im Lichte seines Leidens ertragbarer."

 

Es gibt immer noch ein Fragezeichen gegen menschliches Leid, aber darüber stempeln wir mutig ein weiteres Zeichen, das Kreuz, das göttliches Leiden symbolisiert. ‘Das Kreuz Christi ... ist Gottes einzige Selbstgerechtfertigung in einer Welt' (P.T. Forsyth) wie die unsere. " (John R.W. Stott, Das Kreuz Christi)

 

 

Und noch etwas. Eine kleine und sehr eindrückliche Geschichte von Myroslaw Marynowytsch, ukrainischer Menschenrechtler, aus seiner Zeit im Straflager:

 

«Unser Lagerarzt Ptschjelnikow begriff wohl nicht, wie sehr in ihm das Feuer der Hölle loderte. Ein bezeichnender Fall ist Wiktor Njekipjelow. Dieser lag im

Herbst 1981 bereits schwer krank im Krankenhaus des Lagers. Als ich ihn einmal besuchte, nahm ich mein kleines Kreuz ab, das ich auf meinem Körper

trug, und schenkte es ihm. Wiktor legte es sich mit einem sehr bewegten Gefühl nieder, als ob er erneut getauft worden wäre.

 

Ich erfuhr später, Ptschjelnikow sei zur Untersuchung gekommen und habe dieses Kreuz gesehen. Er wandte sich von ihm ab und rief: Ich weigere mich, Sie zu behandeln, möge Er Sie heilen! Es ist schwer zu sagen, was mich an dieser Episode mehr beeindruckt: die völlige Unvereinbarkeit der Position dieses Doktors mit dem Eid des Hippokrates oder das eigenartige Eingeständnis, dass Gott dennoch existiert.»

 

(Myroslaw Marynowytsch, Das Universum hinter dem Stacheldraht. Deutsche Übersetzung in der Bearbeitung von Max Hartmann: erscheint diesen Sommer beim Verlag ibidem in Stuttgart). 

 

Bilder:

Homepage zur Ausstellung in Warschau - Katakombe in Rom - Danylo Movchan

 

Mehr zum Thema Leiden:

Hiobs Botschaft - Das Geheimnis des Leidens (Richard Rohr) - Blog Max Hartmann (max-hartmann.ch)

Kommentar schreiben

Kommentare: 0