Glaube und Kunst
In Memoriam Ostap Lozinski (1983-2022)
Mein neues Buch «Zurück zum Leben – Die Geschichte meiner Depression» beginnt mit einem Schlüsselerlebnis:
Ich bin wie elektrisiert. Dieses Bild gehört zu mir. Ich kämpfe mit Tränen, meine Frau auch.
Reisen und neue Orte entdecken gehören zu meinem Leben. Ganz besonders faszinieren mich Länder, die wenig bekannt sind und gerade deshalb besondere Überraschungen bereithalten. Schon lange wollte ich den Westen der Ukraine entdecken, das frühere Galizien mit seiner reichen multiethnischen Kultur und der tragischen Geschichte.
Bedingt durch meine Erkrankung geschieht es ein Jahr später als ursprünglich geplant. Im Frühling 2017 fliegen meine Frau und ich nach Lviv, dem früheren Lemberg. Zu Recht ist diese Stadt Weltkulturgut Ich bin mit der Absicht gereist, mir eine moderne Ikone zu kaufen. Im Internet finde ich die Galerie ICONART. Was danach kommt, hätte ich nie gedacht.
Bereits am Tag nach der Ankunft besuchen wir die kleine Ausstellung und sehen uns um. Die Ikone ist einige Wochen zuvor in einem ehemaligen sowjetischen Sanatorium in den nahen Karpaten entstanden. Einige Künstler trafen sich dort zu einer Woche, in der sie gemeinsam Ikonen malten. Zuvor wurden sie für ihre Arbeit von einem Priester gesegnet. Ikonenmalerei ist eine heilige Handlung.
Den Künstler, Ostap Lozinski, kann ich später dank Facebook kontaktieren.
Ostap Lozinski. Gestern erreicht mich die Nachricht: Er ist unerwartet in seinem 39. Lebensjahr an den Folgen von Covid-19 verstorben. Morgen Samstag werden Hunderte von Menschen von ihm Abschied nehmen. Die Trauerfeier findet in einer kleinen Kirche statt, in der eines seiner Werke steht. Eine der Gestalten im Bild ist er selbst.
Ich kann es nicht fassen. Ich hätte ihn gerne persönlich kennengelernt. Ich hätte ihm gesagt, was die drei Werke, die ich in der Galerie seither gekauft habe, bedeuten. Sie spiegeln meinen Glauben, der sich auch in dunkeln Zeiten bewährt. Aus meiner Sicht sind sie von Gottes Geist inspiriert.
In den Medien in Lemberg, Weltkulturstadt, erscheint eine Würdigung des Bürgermeisters:
Ostap Lozinski, ein grosser Mensch und ein grosser Gestalter des künstlerischen Lebens in Lviv, ist gestorben.
Heute, im Alter von 38 Jahren, ist Ostap Lozinski verstorben, der bekannte Lemberger Künstler und Ikonenmaler, Leiter der Lemberger Museums- und Galerievereinigung, die Seele des Phänomens "Weihnachten bei Lozinskis". Sie seit zehn Jahren ist es zu einem unauslöschlichen Attribut des Jahresablaufs der Lemberger geworden ist: Dreihundert Sternsinger versammeln sich während der Feiertage in Lozinskis Haus.
Der Tod von Ostap Lozinski wurde vom Lemberger Bürgermeister Andriy Sadovy bekannt gegeben:
"Heute ist der bekannte Lemberger Maler und Ikonograph Ostap Lozinski verstorben. Es scheint, als ob die Menschen, wenn sie diese Welt für einen so grosse Reise verlassen, sofort in den Himmel kommen. Möge Ostap dort fröhlich und glücklich sein. Und seine Werke sowie sein Andenken werden für immer weiterleben. Sie sind eine leuchtende Erinnerung für einen leuchtenden Menschen".
Die Todesursache war COVID-19.
«Ostap Lozinski wurde 1983 in Lviv geboren. Sein Vater Taras Lozinski ist ein bekannter Sammler und Künstler, Gründer des Instituts für Sammlungen ukrainischer Kunstdenkmäler in der wissenschaftlichen Taras-Schewtschenko-Gesellschaft. Wie Ostap später sagte: "Ich wurde geboren, und die Kunst war immer für mich da".
Im Jahr 2004 machte er seinen Abschluss an der Hochschule für dekorative Künste in Lviv bei Iwan Trusch im Fachbereich Malerei), 2006 in der nationalen Akademie der Schönen Künste Lwiw, dann folgte das Studium am Institut für Naturgeschichte der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine. Seine Abschlussarbeit trug den Titel "Die Kreativität des Meisters der ikonographischen Serie aus Skole im Kontext der lokalen ikonographischen Sektoren Galiziens des späten 16. und frühen17. Jahrhunderts.
Seit 2006 arbeitet er am Nationalen Museum des Heiligen Andreas Sheptytsky in Lviv, wo er als Leiter der Ausstellungsarbeit, Kurator von Ausstellungen und Ausstellungsprojekten tätig ist. Seit 2011 ist er zudem Kurator von Ausstellungsprojekten der Galerie für zeitgenössische sakrale Kunst Iconart.
Ab 2017 wirkt er als Dozent für den theoretischen und praktischen Kurs "Grundlagen der Komposition" an der Schule für Ikonographie der Ukrainischen Katholischen Universität Radruzh.
Ostap Lozinski ist ein Künstler., talentiert und charismatisch. Eines seiner Gemälde oder besser noch eine Ikone in der eigenen Sammlung zu haben, zeugt von gutem Geschmack! Seine künstlerische Handschrift ist unverwechselbar und unprätentiös: Indem er die traditionellen galizischen Ikonen durch das Prisma eines Verständnisses der zeitgenössischen Kunst, Philosophie und Theologie betrachtet hat, schuf er seinen eigenen erkennbaren Stil.
Seine Faszination für die Ikone und die Verwandlung des Künstlers Lozinski in den Ikonenmaler Lozinski dauerten jahrelang an. Er arbeitet nach eigenem Gutdünken, ohne dem Kommerz oder der Mode zu folgen - er hört auf Gott, und wir können Gott in seinen Werken spüren.»" (Martha Kuzi)
Im Internet finde ich ein Video, in dem Ostap eines seiner Werke erklärt - und damit auch den christlichen Glauben erklärt. Leider ist das Bild in seiner Auflösung sehr gering. So bald ich ein besseres finde, ersetze ich es.
Sei mir gnädig, Gott
Ostap Lozinski erklärt sein Werk
Das Thema des letzten Workshops in Nowica waren die Psalmen. Sei mir gnädig, Gott.Jedes Jahr wird in den Workshops ein wichtiges und interessantes Thema behandelt. Die in den Workshops aufgeworfenen Fragen müssen gründlich geprüft werden.
Ich muss ehrlich zugeben, dass ich die Psalmen nicht von Anfang bis Ende zusammen gelesen habe. Ich habe nur einzelne, ausgewählte gelesen. Die Workshops haben mich motiviert, alle Psalmen von Anfang bis Ende zu lesen. Das war für mich eine sehr interessante Erfahrung. Deshalb habe ich sehr interessante Themen in den Psalmen gefunden. Das wichtigste Thema ist natürlich, Gott zu lieben und ihn zu loben - zu sagen, wie Gott der Schöpfer der Welt, der Pflanzen, der Tiere und der Menschen ist. Die Psalmen drücken unseren Dank an den Herrn seiner Schöpfung aus.
Aber ein sehr schwieriges Thema in den Psalmen ist das Thema des Menschen, des sündigen Menschen. Ein Mensch, der Gott mit seinen Sünden beleidigt, der den Menschen mit seinen Sünden beleidigt. Ein Mensch, der gegen das Gesetz Gottes lebt. Ein Mensch, der manchmal gierig ist. Ein Mensch, der kein Mitleid mit anderen Menschen hat, kein Mitleid mit seinem Bruder. Diese Fragmente aus den Psalmen waren die Inspirationsquelle für die Arbeit, die ich während des Workshops "Gott sei mir gnädig" geleistet habe.
Es handelt sich um ausgewählte Fragmente aus vielen Psalmen, die mit dem Neuen Testament korrespondieren. Und die dem Bild von Jesus Christus entsprechen, dem Bild Gottes, der in die Welt kam und sein Leben für unsere Erlösung gab.
Die Komposition besteht aus zwei Teilen, einem oberen und einem unteren. Der untere Teil ist unser Leben, die Erde. Es ist kein Zufall, dass ich die ganze Komposition mit Architektur abgeschlossen habe. Die Architektur ist ein menschliches Werk, sie ist von Menschenhand geschaffen. Es gibt hier keine Natur. Und es ist ein Verweis auf menschliche Handlungen, darauf, wie ein Mensch in seinem Leben verschiedene Konstruktionen schafft. Und es ist eine Anspielung auf den Menschen, der versucht, etwas herauszufinden, aber dabei vergisst, wer die Beziehung zu Gott und den Menschen ist. Das Hauptelement der Komposition ist der Boden, ein Schachbrett. Es zeigt, dass Gott uns eine Wahl gibt. Wir können wählen, ob wir auf die helle oder die dunkle Seite gehen.
Im unteren Teil der Komposition ist die zentrale Figur sehr wichtig. Es ist die Figur des Menschen, der von seinen Sünden, seinem Stolz und seinem Mangel an Nächstenliebe erdrückt wird. Es ist ein Mensch, der von einer Lüge, von einem Mord erdrückt wird - von den Sünden, die Menschen jeden Tag begehen. Und die größte Sünde ist, den Nächsten nicht zu lieben.
Die Passagen, die ich ausgewählt habe, verweisen sehr stark auf das Neue Testament. Alle beziehen sich auf die eine oder andere Weise auf Jesus, den Gekreuzigten. Wir sehen Soldaten, die das Gewand Jesu teilen. Wir sehen den Essigschwamm, aus dem Jesus trinkt.
Wir sehen Sünder, zu den sich die Selbstgerechten nicht setzen wollen, wir sehen Mord, wir sehen all die negativen Dinge, die uns umgeben. Aber in Wirklichkeit ist das alles ein bestimmtes Symbol der Sünde. Es ist eine Sünde, die einen Menschen im Vordergrund zermalmt.
Der obere Teil ist ein absoluter Gott. Es ist ein sauberer, idealer Raum, in dem sich alles den universellen Gesetzen der völligen Harmonie untergeordnet hat. Es ist ein Raum, in dem Engel, Erzengel und heilige Seelen existieren. Wir können sehen, dass der Himmel offen ist. Wir können die Hand Gottes sehen, die uns ruft, die sagt, dass Gott für uns alle offen ist. Gott liebt uns, egal wer wir sind, er wird uns immer in seine Hände nehmen. Und er zeigt, dass der Himmel für uns offen ist. Indem wir ein rechtes Leben führen, müssen wir versuchen, uns diesem Ideal zu nähern.
Wir haben zwei Teile: Die Erde, die nicht perfekt ist, weil die Menschen sie so machen; nicht die Tiere, nicht die Natur, sondern der Mensch bringt das Chaos. Gottes Grundplan ist Harmonie und Ordnung, die wir anstreben sollen. Eines der Hauptelemente der Komposition ist die Leiter, die mit der Jakobsleiter verbunden ist. Durch diese Leiter können wir uns zu Gott erheben und das Absolute, die Heiligkeit, erreichen.
Reaktion eines Freundes zum Tod von Ostap:
Deine Faszination der Bilder scheint mir einfach wichtig zu sein. Unsere Theologie (im Unterschied zur orthodoxen oder sogar katholischen Theologie) hat sich viel zu sehr von der Schönheit und der ganzen Bildhaftigkeit der Glaubensquellen losgesagt. Ja , wir sollten unseren Gefühlen misstrauen und sie sicher nicht zur Quelle einer Gotteserfahrung machen. Was für eine Liebe, und für alle Liebenden seltsames Unterfangen. Ich wünsche Dir Max viele positive Reaktionen auf Deinen Blog.
Zu den untenstehenden Bildern
Ich habe unterdessen drei Ikonen von Ostap Lozinski:
Die erste Ikone ist diejenige, die ich zu Beginn erwähne. Jesus, der seinen Jüngern die Füsse wäscht und ihnen das Vorliebe der Liebe gibt. Dazu gehört die Botschaft: "Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht." (Matthäus 11,28). Wir sehen zudem den Künstler nach Vollendung des Werkes im Spätwinter 2016.
Die zweite Ikone stammt aus der nun letzten Ausstellung von neuen Werken des Künstlers. Das Thema war "Anima". Mehr dazu:
Die dritte ist ein Werk, das schon etwas älter ist: Jesus, der gemartert und geschlagen wird.
Bilder
Galerie "Iconart", Lviv
Auf Facebook habe ich zudem ein Bild aus der Eröffnung der Ausstellung gefunden, das Ostap bei seinen Erläuterungen zeigt.
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Maria (Samstag, 08 Januar 2022 08:54)
Lieber max,
"Möge ostap dort fröhlich und glücklich sein",wie es der bürgermeister von lemberg sagte.
Mögest du von Gott selber geströstet sein. Von Ihm der dir die begegnung mit diesem künstler und seinen bildern schenkte.
Sei umarmt und gesegnet,maria
Sonja (Sonntag, 09 Januar 2022 06:01)
Lieber Max, der Tod von Lozinski ist ein sehr grosser Verlust!
Ich kann mir vorstellen, wie leid es dir tut, dass du dich ihm nicht mehr mitteilen konntest!
Ich wünsche dir, dass du getröstet wirst und mit dir viele 1000 Menschen, die ihn geliebt und verehrt haben.
Ich hatte auch schon lange vor, nach Lemberg zu fahren und ich hätte ihn auch gerne kennen gelernt
Seine Ikonen bleiben uns und sie werden noch für viele Menschen wertvoll sein und werden.
kiril (Montag, 10 Januar 2022 21:14)
lieber max, von ostaps tod fühle ich mich besonders betroffen. im letzten sommer telefonierte ich mit ihm und bat um eine kopie von "Gott, erbarme dich meiner" (es ist meine wortwörtliche übertragung aus dem ukrainischen). ostap versprach, die kopie am ende des jahres fertig zu machen.
ein werk beginnt bei mir vollständig zu funktionieren, wenn ich mit ihm in dialog trete, d.h. ich interpretiere es.
ich schrieb eine kurze interpretation des werkes. ostap wird sie leider nicht mehr lesen können. in der interpretation legte ich einen großen wert auf die worte "Gott, erbarme dich meiner". die biblische phrase übersetzte ich in unsere irdische sprache als "ich bitte um verzeihung". es ist eine bitte, ein gebet.
amen bedeutet nicht ein ende vom gebet. kein ende ist, was wir ewigkeit nennen.
Max Hartmann (Dienstag, 11 Januar 2022 18:04)
Lieber Kiril
Danke für deine Worte. Ich bin sehr interessiert an deiner Interpretation. Du verstehst in deiner Tradition die Symbole, was mir als reformierter Christ so nicht einfach zugänglich ist. Kannst du mir deinen Text als Kommentar zukommen lassen. Ich kann ukrainisch automatisch übersetzen lassen und danach den Text sprachlich noch bearbeiten, dass er gut auf deutsch lesbar ist. Schön, dass wir auf diese Weise miteinander verbunden sind.